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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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paar Stullen schmieren, der Bettler durfte nicht in die Küche. Im höchsten Fall wurde ein Teller Suppe durch die Tür gereicht, der auf dem Treppenabsatz ausgelöffelt werden mußte.
    Nun, hier in Dahlem war man feiner, aber für den Bettler machte es wenig aus, Bettler war Bettler, vor der Tür wie in der Küche, von nun an bis in alle Ewigkeit. Amen!
    Er haßte sich, daß er nicht ging. Er wollte kein Essen, was lag ihm am Essen? Er konnte bei seiner Mutter essen, Minna hatte erzählt, immer lag ein Gedeck für ihn auf. Nicht, daß er sich geschämt hätte, aber sie sollten nicht zu ihm reden, als sei er ein Kranker, den man schonen muß – er war nicht krank! Nur dieses verfluchte Geld! Warum hatte er ihr vorhin diese jämmerlichen Lappen nicht aus der Hand genommen?! Er säße jetzt schon in der Untergrundbahn …
    In seiner Nervosität hat er eine Zigarette vorgezogen, er ist schon im Begriff, sie anzubrennen, als das Mädchen sagt: »Bitte, wenn Sie es irgend aushalten, jetzt nicht. Sofort, wenn ich das Essen raufgeschickt habe. Der Herr schmeckt so empfindlich …«
    Die Tür geht auf, und herein kommt ein kleines Mädchen, Tochter des Hauses, zehn Jahre oder zwölf, hell, fröhlich, leicht. Die weiß von der bösen, grauen, riechenden Stadt draußen bestimmt nichts! Will sich den Bettler mal anschauen, Bettler scheinen in Dahlem wirklich ein rarer Artikel!
    »Papa ist schon unterwegs, Trudchen«, sagt das Kind zu dem Mädchen am Herd. »In einer Viertelstunde können wir essen. – Was gibt es, Trudchen?«
    »Topfriecher!« lacht das Mädchen und hebt einen Deckel. Dampf steigt auf, das Kind schnuppert eifrig. Dann sagt es: »Och, bloß olle Schoten! Nein, sag wirklich, Trudchen.«
    »Suppe, Fleisch und Schoten«, sagt Trudchen scheinheilig.
    »Und –?« fragt das Kind drängend.
    »Und, sagt Herr Rund – da biß ihn der Hund!« lacht das Mädchen halb singend.
    Das gibt es noch, denkt Wolfgang halb lächelnd, halb verzweifelt. All das gibt es also noch. Ich habe es bloß nicht mehr zu sehen bekommen, in meiner Höhle Georgenkirchstraße, habe es darum vergessen. Aber richtige Kinder, Unschuld, unverdorbene, unwissende Unschuld gibt es auch noch. Die Frage nach der süßen Speise eine Wichtigkeit, da hunderttausend die Frage nach dem täglichen Brot überhaupt nicht mehr stellen mögen! Plünderungen in Gleiwitz und Breslau, Lebensmittelkrawalle in Frankfurt am Main und Neuruppin, Eisleben und Dramburg …
    Er betrachtet das Kind ablehnend. Es ist ja Schwindel, denkt er weiter, eine künstliche Unschuld, eine ängstlich geschützte Unschuld – genau wie sie Gitter vor ihren Fenstern haben. Das Leben kommt doch – was wird in zwei, drei Jahren von dieser Unschuld noch dasein?
    »Guten Tag!« sagt das Kind zu ihm. Es hat ihn erst jetzt bemerkt, vielleicht, weil er mit dem Stuhl rückte, um aufzustehen und fortzugehen. Er nimmt die Hand, die das Kind ihm hinhält. Es hat dunkle Augen unter einer klaren, schönen Stirn, es sieht ihn ernst an. »Sie sind der Herr, der mit unserer Liesbeth gekommen ist?« fragt es eindringlich.
    »Ja«, sagt er und versucht, gegen soviel Ernst anzulächeln. »Wie alt bist du denn?«
    »Elf Jahre«, sagt sie höflich. »Und Ihre Frau hat nichts als einen Paletot?«
    »Richtig«, sagt er und versucht noch immer zu lächeln und leicht zu tun. Aber es ist eine verfluchte Sache, seinen Taten im Munde anderer, und nun gar schon von Kindern, zu begegnen. »Und gegessen hat sie auch nichts – und wird wohl kaum etwas kriegen, nicht einmal Speise mit Makronen.«
    Aber sie merkt gar nicht, daß er ihr weh tun wollte. »Mama hat so viele Sachen«, sagt sie nachdenklich. »Das meiste zieht sie gar nicht an.«
    »Richtig, vollkommen in Ordnung«, sagt er wiederum und kommt sich doch so schäbig vor mit seiner billigen Schnoddrigkeit. »So ist eben das Leben. Das hast du noch nicht in der Schule gehabt? Wie?«
    Immer jämmerlicher, immer kläglicher, vor allem vor diesen ernsten Augen, die ihn ansehen – fast traurig.
    »Ich gehe nicht in die Schule«, sagt das Kind mit einem kleinen, ein wenig wichtigtuerischen Ernst. »Ich bin nämlich blind.« Wieder der Blick, dann: »Papa ist auch blind. Aber Papa hat früher noch sehen können. Ich habe nie sehen können.«
    Sie steht vor ihm – und der für seinen billigen Spott so rasch Gestrafte hat immer stärker das Gefühl, als sähe sie ihn an. Nein, nicht mit den Augen, aber vielleicht mit der klaren Stirn, dem kühn geschwungenen, ein

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