Wolfsblut
den Schlaf seines Kameraden nicht zu stören, und warf mehr Holz auf das Feuer. Als es aufflammte, zog sich der Augenkreis weiter zurück. Zufällig blickte er nach den sich zusammendrängenden Hunden hinüber, rieb sich die Augen und blickte schärfer hin. Darauf kroch er unter die Decke zurück.
»Du, Heinrich«, sagte er, »hör doch mal, Heinrich!« Dieser, aus dem Schlafe erwachend, brummte: »Was ist denn los?«
»Nichts«, war die Antwort. »Nur daß es jetzt wieder sieben sind. Ich hab sie eben gezählt.«
Heinrich beantwortete die Kunde mit einem Brummen, das in ein Schnarchen überging, als der Schlaf ihn übermannte. – Am Morgen erwachte Heinrich zuerst und trieb den Gefährten zum Aufstehen an. Der Tag brach erst drei Stunden später an, obgleich es schon sechs Uhr war, und so ging Heinrich in der Dunkelheit umher und kochte das Frühstück, während Bill die Decken zusammenrollte und den Schlitten zur Abfahrt bereitmachte.
»Hör mal, Heinrich«, fragte er plötzlich, »wieviel Hunde sagtest du, daß wir hätten?«
»Sechs.«
»Falsch!« verkündete Bill triumphierend.
»Wieder sieben?« fragte Heinrich.
»Nein, aber fünf, denn einer ist weg.«
»Hölle und Teufel!« rief Heinrich wütend, ließ das Frühstück stehen und kam, um die Hunde zu zählen.
»Du hast recht«, erwiderte er. »Fett ist fort.«
»Und wie ein geölter Blitz ging es mit ihm, als er erst los war. Nichts war mehr von ihm zu sehen.«
»Wie sollte es auch?« erwiderte Heinrich. »Sie verschlangen ihn gewiß gleich lebendig. Ich wette, er bellte noch, als sie ihn hinunterschluckten, die verdammten Bestien.«
»Er war immer ein bißchen dämlich«, meinte Bill.
»Aber kein dummer Hund sollte so dämlich sein, daß er hinliefe, um Selbstmord zu begehen!« Dabei ließ Heinrich den Blick prüfend über die übrigen Hunde gleiten, als wollte er sich die Charakterzüge jedes einzelnen vergegenwärtigen.
»Ich wette, das würde keiner von den andern tun.«
»Die könnte man nicht mal mit ’nem Knüppel vom Feuer jagen«, stimmte Bill bei. »Ich dachte immer, daß es mit Fett nicht ganz richtig wäre.«
Und dies war die Grabrede auf einen toten Hund bei einer Nordlandfahrt – nicht dürftiger als die manches anderen Hundes und manchen Mannes.
ZWEITES KAPITEL
Die Wölfin
Als das Frühstück verzehrt und die wenigen Lagergerätschaften auf den Schlitten gepackt waren, drehten die Männer dem hellen Feuer den Rücken und verschwanden in der Dunkelheit. Sogleich begann wieder das fürchterlich traurige Geheul, das auf verschiedenen Seiten wie antwortend durch Kälte und Dunkelheit tönte. Der Männer Gespräch verstummte. Um neun ward es Tag. Mittags erglänzte der Himmel im Süden in rosigem Lichte, aber die Rosenfarbe verblaßte schnell. Das graue Tageslicht, das zurückblieb, dauerte bis drei Uhr; dann erblich es ebenfalls, und nun breitete die Polarnacht ihr dunkles Leichentuch über die einsame, schweigende Welt.
Als die Dunkelheit hereinbrach, erklang das Geheul rechts, links und im Rücken näher, ja mehr als einmal so nahe, daß die müden Hunde vor Angst zitterten und in der Aufregung durcheinandergerieten.
Nach einem solchen kurzen Aufenthalt, als beide das Gespann wieder in Ordnung gebracht hatten, sagte Bill: »Ich wünschte, sie spürten ein anderes Wild irgendwo auf und ließen uns in Ruhe.«
»Sie fallen einem wirklich gräßlich auf die Nerven«, stimmte Heinrich bei. Weiter sagten sie nichts, bis das Nachtlager aufgeschlagen wurde.
Heinrich beugte sich über den Topf, in dem die Bohnen brodelten, und tat kleine Stückchen Eis hinein. Plötzlich ließen ihn ein lauter Schlag und ein Ausruf von Bill sowie das scharfe Knurren und das Wehgeschrei eines Hundes zusammenfahren. Er richtete sich auf und sah noch, wie eine dunkle Gestalt über den Schnee lief und in der Finsternis verschwand. Dann erblickte er Bill, halb triumphierend, halb niedergeschlagen, unter den Hunden, wie er in der einen Hand einen dicken Knüttel, in der anderen das Schwanzende eines gedörrten Lachses hielt.
»Die Hälfte hat die Bestie doch gekriegt«, verkündete er, »aber ich gab ihr dafür auch einen tüchtigen Klaps. Hörtest du sie schreien?«
»Wie sah sie denn aus?« fragte Heinrich.
»Sehen konnte ich nicht. Aber sie hatte vier Beine und ein Maul und Haare und sah wie ein Hund aus.«
»Es muß ein zahmer Wolf gewesen sein, glaub ich.«
»Verdammt zahm, was es auch ist, wenn es so zur Fütterung kommt und sein
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