Valentine
Kapitel 1
Die Unruhe , die Valentine in den Nächten heimsuchte , quälte sie auf eine fast unerträglich e Weise , Wann sie genau angefangen hatte, daran erinnerte sich Valentine nicht mehr. Es geschah schleichend, aber mit immer stärker werdender Intensität. Bei nüchterner Betrachtung hatte es vermutlich damit zu tun, dass ihr Leben neuerdings völlig auf dem Kopf stand.
All die Zeit seit dem Überfall auf ihre Familie, noch bis vor wenigen Wochen, war sie der Mittelpunkt im Leben ihres Bruders gewesen. Nicht, dass sie ihn darum gebeten hätte. Manchmal war es ihr sogar lästig. Für Frédéric , als Familienoberhaupt einer der edelsten Blutlinien der Vampirgesellschaft , war es hingegen selbstverständlich, sich um seine Schwester zu kümmern. Zumal er sich die Schuld an ihrem unheilvollen Schicksal gab.
Doch nun galt Frédérics Aufmerksamkeit an erster Stelle Aliénor, seiner geliebten Elfe. Aufregende Wochen lagen hinter den beiden, bis aus ihnen endlich ein Paar geworden war. Auch Valentine freute sich über das Glück ihres Bruders. Ihre Schwägerin war ein liebenswertes Wesen , und sie verstand sich mit ihr ausgezeichnet.
Schon in der Zeit, bevor Frédéric seine Elfe kennen gelernt hatte, hatte er Valentine bedrängt, mit ihm gemeinsam den einen oder anderen Ort zu besuchen und sich nicht länger zuhause zu verstecken. Durch die schrecklichen Ereignisse, die sich weit in der Vergangenheit zugetragen hatten , war sie eine Gefangene ihrer eigenen Ängste geworden , und inzwischen ärgerte sie dieser Zustand sogar mehr, als dass sie ihn fürchtete. Frédéric selbst hatte Sorge getragen, dass das Schloss sicherer war als jede Festung . Sicherer als damals, als ausgerechnet ihr Zuhause ihr keinen Schutz geboten hatte. Aber was sollte dieser Schutz, dieses Sich-zuhause-verstecken , wenn man sich damit selbst isolierte?
Der Zeitpunkt , dies zu ändern, war überfällig. Ein Umstand, für den Frédéric nichts konnte. Es war allein Valentines Entscheidung. Er hätte sie jederzeit mitgenommen, wenn sie es selbst gewollt hätte. Aber sie war dafür noch nicht bereit gewesen.
Unschlüssig betrachtete Valentine den Inhalt ihres Waffenschranks . Er befand sich direkt in ihrem Zimmer, damit sie alles Nötige jederz eit griffbereit hatte . Unbewaffnet loszuziehen würde an Selbstmord grenzen, auch wenn sie davon aus ging , weder mit Menschen noch mit Vampiren in eine Konfrontation zu geraten .
Es war auszuschließen , dass die Krypta von irgendjemandem aufgesucht wurde außer von Archäologen, und diese arbeiteten in der Regel nicht nachts. Solange sich dort unten keine Menschen herumtrieben, war das Labyrinth unterirdischer Gänge für andere Vampire kaum von Interesse . Sollte sich dort zufällig eine Gruppe über mütiger partylustiger Jugendliche r aufhalten – was ziemlich unwahrscheinlich war – , so würde sie diese rechtzeitig bemerken und ihnen ausweichen.
Also gut, eine leichte Pistole, mit Kugeln aus einer speziellen Silberlegierung geladen, und ein Kurzschwert für den Nahkampf würden genügen. Beides konnte sie problemlos zwischen ihrer hautengen Lederkleidung und ihrem langen Ledermantel verbergen.
Zwei- bis dreimal die Woche absolvierte Valentine ihr Kraft- und Kampf training und übte in der hauseigenen unterirdischen Schießanlage mit diversen Waffen. Nur für den Schwertkampf bedurfte es eines Gegners , und diesen Part übernahmen im Wechsel die männlichen Vampire im Haus. Jeder – außer Emanuele del Castello .
Seit der spanische Edelmann als Gast bei ihnen weilte, versprühte er einen geradezu unerträglichen Charme und hatte vom ersten Tage an ein Auge auf Valentine geworfen. Ihre abweisende Haltung spornte ihn umso mehr an, ihr auf die Nerven zu gehen. Natürlich hatte e r sich ausgeschlossen gefühlt , als Frédéric ihm knapp und bestimmend mitgeteilt hatte, dass Valentine mit ihm nicht trainieren wolle. Es hielt Emanuele jedoch nicht ab, weiter um sie zu werben. V ielleicht würde er sie in Ruhe lassen, wenn er wüsste, warum sie kein Interesse an ihm zeigte. Aber darüber wollte sie auf keinen Fall reden.
Für einen kurzen Augenblick überlegte Valentine, ob sie doch jemanden über ihr Vorhaben in Kenntnis setzen sollte, entschied sich aber dagegen. Womöglich käme Frédéric auf die Idee, sie zu ihrem Schutz zu begleiten. Nein, sie musste diesen Schritt allein bewältigen und ins sprichwörtlich kalte Wasser springen.
Unbemerkt verließ sie ihr Zimmer, eilte den Flur
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