Wolfsblut
gerechtfertigt, der alte Räuber war wieder bei den üblichen Streichen!
Der Stallknecht war in den Schuppen geflüchtet, während Wolfsblut vor Collies scharfen Zähnen zurückwich, wobei er ihr die Schulter zukehrte und sich im Kreise drehte. Aber Collie gab die Verfolgung nicht wie sonst nach kurzer Zeit auf; im Gegenteil wurde sie immer erregter und ingrimmiger, bis Wolfsblut am Ende seine Würde vergaß und ganz offen das Hasenpanier ergriff und in die Felder entfloh.
»Er wird es schon lernen, daß er die Hühner in Ruhe lassen muß«, sagte der Herr. »Aber ich kann es ihm erst beibringen, wenn ich ihn auf frischer Tat ertappe.«
Zwei Tage später geschah dies, aber es kam in ganz anderer Weise, als der Herr sich das gedacht hatte. Wolfsblut hatte den Hühnerhof und die Gewohnheiten seiner Bewohner genau studiert. Als diese nachts zur Ruhe gegangen waren, kletterte er auf einen frisch aufgeschichteten Holzhaufen, erreichte von dort das Dach des Hühnerstalls, kroch darüber hinweg und sprang auf der andern Seite in den Hof. Einen Augenblick später war er im Stalle, und dann begann das Gemetzel.
Am Morgen, als der Herr auf die Veranda hinaustrat, begrüßten sein Auge fünfzig weiße Hühnchen, die der Stallknecht in einer Reihe hingelegt hatte. Er pfiff leise vor sich hin, halb aus Überraschung, halb aus Bewunderung. Auch Wolfsblut begrüßte ihn, aber ohne eine Spur von Scham oder Schuldbewußtsein. Im Gegenteil war seine Haltung stolz, als hätte er ein lobenswertes und verdienstliches Werk vollbracht. War er sich seiner Sünde doch nicht bewußt! Der Herr biß sich auf die Lippe, als er an die unangenehme Aufgabe ging. Er sprach strenge zu dem ahnungslosen Missetäter, und in seiner Stimme klang heftiger Zorn, während er Wolfsbluts Nase auf die ermordeten Hennen niederhielt und ihm dabei einige derbe Püffe versetzte.
Von der Zeit an plünderte Wolfsblut nie wieder einen Hühnerhof; das wäre ja gegen das Gesetz gewesen, das er gelernt hatte. Darauf nahm ihn der Herr auf den Hühnerhof mit. Wolfsbluts Instinkt, wenn er die lebendige Speise um sich und vor seiner Nase herumflattern sah, war, darauf loszuspringen, doch jedesmal, wenn er dem Triebe folgen wollte, hielt des Herrn Stimme ihn zurück. So blieben sie eine halbe Stunde lang dort, und ehe er das Reich der Hennen verlassen hatte, hatte er gelernt, daß er sie unbehelligt lassen müßte. »Du kannst keinen Hund dahin bringen, daß er die Hühner in Ruhe läßt«, sagte bei Tische Richter Scott, als der Sohn ihm die Lektion erzählte, welche er Wolfsblut gegeben hatte, und schüttelte dabei ernst den Kopf. »Hat einer erst mal Blut geleckt, so –«, und abermals schüttelte er ernst das Haupt.
Aber Weedon Scott war nicht der Meinung. »Ich werde dir etwas sagen, Vater«, schloß er endlich den Streit. »Ich werde Wolfsblut den ganzen Nachmittag über bei den Hühnern einschließen.«
»Aber so bedenke doch die armen Hühner«, warf der Richter ein. »Außerdem«, fuhr der Sohn fort, »werde ich dir für jedes Huhn, das er totbeißt, einen Dollar in Gold zahlen.«
»Aber Vater muß auch, wenn er verliert, Strafe zahlen«, mischte sich Betty ein.
Die Schwester stimmte ihr bei, und jubelnder Beifall erhob sich um den ganzen Tisch. Richter Scott nickte zustimmend: »Schön!«
Weedon Scott sann einen Augenblick nach, dann sagte er: »Wenn Wolfsblut im Laufe des Nachmittags keinem Huhn ein Leid zufügte, so sollst du für jede zehn Minuten, die er im Hühnerhof zugebracht hat, ernst und bedächtig, als ob du zu Gericht säßest und das Urteil sprächest, zu ihm sagen: ›Wolfsblut, du bist doch klüger, als ich geglaubt habe.‹«
Von einem Versteck aus beobachtete die Familie die Probe, die als Schauspiel eine Enttäuschung brachte. Kaum sah sich Wolfsblut im Hühnerhof eingeschlossen und von dem Herrn verlassen, so legte er sich nieder und schlief. Einmal nur stand er auf und ging an den Trog, um zu trinken, aber um die Hühner kümmerte er sich nicht; die schienen für ihn gar nicht dazusein. Gegen vier Uhr nahm er einen Anlauf, sprang auf das Dach des Hühnerstalles und auf der anderen Seite hinab und schritt gravitätisch dem Hause zu. Er hatte seine Lektion gelernt, und auf der Veranda sagte Richter Scott vor der jubelnden Familie sechzehnmal langsam und feierlich: »Wolfsblut, du bist doch klüger, als ich geglaubt habe.«
Allein es gab so viele Gesetze, daß es kein Wunder war, wenn Wolfsblut dann und wann dagegen verstieß. Er hatte
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