Wolfsfeder
etliche Waidmänner
begegnet, die durch den vorzeitigen Jagdabbruch erheblich irritiert schienen.
Am Streckenplatz hatten sich bereits ein
Dutzend Grünröcke eingefunden. Im gebührenden Abstand standen sie um das
Fichtengrün herum. Kaum einer sprach. Wenn, dann wurde nur geflüstert.
Als Mendelski aus dem Wagen stieg, hastete
von Bartling auf ihn zu. »Es ist unfassbar«, rief er. »Dort auf dem
Streckenplatz liegt eine Leiche. Die Leiche einer jungen Frau.« Aufgeregt mit
den Händen fuchtelnd lief er neben Mendelski her. »Was für ein Fauxpas!
Ausgerechnet auf dem Streckenplatz. Hier in meinem Revier.« Er stockte,
offenbar wurde er sich seiner Taktlosigkeit bewusst. »Ich kenne das Mädchen«,
plapperte er rasch weiter. »Eine Südamerikanerin, glaube ich. Sie wohnt bei den
Kreinbrinks in Eschede. Ordentliche Leute, die Kreinbrinks. Vater und Sohn sind
heute auch hier und jagen mit. Sie war wohl so etwas Ähnliches wie ein Au-pair-Mädchen.
Ausgesprochen nett, fröhlich und lebenslustig …«
Ohne auf den Redeschwall des Jagdleiters
einzugehen, eilte Mendelski an den Umstehenden vorbei, die ihm bereitwillig
Platz machten. Es ging darum, den Fundort einer Leiche beziehungsweise einen
etwaigen Tatort so rasch wie möglich zu sichern. Dabei zählte jede Minute.
Vor dem Streckenplatz machte er halt und
schaute auf die Tote, deren Oberkörper man inzwischen von den Fichtenzweigen
befreit hatte. Beine und Unterleib waren allerdings weiterhin unter dem Grün
verborgen.
»Bitte zurücktreten«, rief Mendelski mit
donnernder Stimme. »Alle mindestens zehn Meter zurück.« Dann korrigierte er
sich. »Nein, am besten, Sie gehen zu Ihren Fahrzeugen und warten dort.«
Von Bartling, der endlich schwieg, schaute
ihn fragend an.
»Nein, Sie nicht. Sie bleiben hier. Wer
hat die Tote entdeckt?«
»Herr Jagau, mein Forstwirt.«
»Der soll auch bleiben. Alle anderen bitte
zurücktreten.«
Nur zögerlich folgten die Jäger der
Aufforderung. Es war einfach zu ungeheuerlich, was sie da sahen.
»Meine Herren! Ein bisschen flotter,
bitte«, forderte Mendelski, der die Neugierigen mit ausgebreiteten Armen
zurückdrängte. »Haben Sie zufällig Absperrband oder dergleichen hier?«
Von Bartling schaute fragend seinen
Forstwirt an.
»Hab eine Rolle im Pick-up«, erwiderte
Jagau. »Soll ich sie holen?«
»Ja, bitte«, antwortete Mendelski.
»Sperren Sie den Streckenplatz damit großräumig ab – mit mindestens zehn
Metern Abstand zum Fichtengrün. Niemand darf den Innenraum ohne meine
Genehmigung betreten. Sagen Sie das allen.«
Jagau nickte beflissen und stiefelte los.
Während von Bartling regungslos am Rand
des Streckenplatzes verharrte, betrat Mendelski das Fichtengrün. Vorsichtig Fuß
vor Fuß setzend, näherte er sich der Leiche. Neben dem leblosen Körper blieb er
stehen. Er musste unwillkürlich an seine beiden Kinder Ana und Pablo denken und
seufzte hörbar.
Die Tote war jung – vielleicht
siebzehn oder achtzehn Jahre alt – und ausgesprochen hübsch. Sie war eine
Farbige, eine Mulattin, wie Mendelski vermutete. Dafür sprachen ihre feinen
Gesichtszüge und die nicht besonders dunkle, eher hellbraune Hautfarbe.
Ihre Augen und der Mund waren geschlossen,
das nasse Haar fein säuberlich aus der Stirn gestrichen. Ihr Gesicht wirkte
friedlich und entspannt. Mendelski tröstete das wenig; als erfahrener Ermittler
der Mordkommission wusste er, dass der Gesichtsausdruck eines Verstorbenen
keinerlei Rückschluss auf sein vielleicht qualvolles Sterben zuließ. Denn bei
Eintritt des Todes erschlaffen sämtliche Muskeln im Körper, so auch die
Gesichtsmuskulatur.
Sie lag auf dem Rücken, die Arme
ausgestreckt am Körper angelegt. Die Beine, die noch unter den Fichtenzweigen
verborgen waren, schienen ebenfalls akkurat ausgerichtet zu sein. Sie trug ein
schwarzes T-Shirt, das durch die Nässe wie eine zweite Haut an ihrem Oberkörper
klebte. Die Konturen eines BH s
zeichneten sich deutlich ab. Unterhalb des T-Shirts war ein Stück Bauch zu
sehen, circa fünf Zentimeter tiefer der gürtellose Hosenbund einer hellblauen
Jeans.
Mendelski bückte sich zu dem Mädchen
hinunter und kontrollierte Puls, Pupillen, Atem und die Beweglichkeit eines
Handgelenks. Es war steif; er konnte keinerlei vitale Reaktion mehr erkennen.
Längere Zeit musterte er ihr Gesicht, dann befühlte er ihre Wange.
»Merkwürdig«, murmelte er und richtete
sich wieder auf.
»Wie bitte?« Von Bartling hatte seine
rechte Hand ans Ohr gelegt, um
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