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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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kniete.
    Das Mädchen war nun auch an den Beinen von
Zweigen befreit. Sie trug enge Jeans, weiße Baumwollsocken und hellbraune
Turnschuhe aus Wildleder.
    »Da gibt es diese hämatomartigen Flecken
an Händen und im Gesichtsbereich«, sagte Frau Dr. Grote. »Hier, schauen
Sie. Sind schwer zu erkennen bei einer Farbigen. Könnten aber auch leichte
Hautabschürfungen sein, die durch den Regen völlig ausgewaschen und blutleer
sind. Totenflecke an diesen ungewöhnlichen Stellen oder Hautverfärbungen
infolge von Pigmentstörungen, wie sie bei Farbigen häufiger vorkommen, schließe
ich aus. Genaueres aber erst später, nach der Obduktion.«
    »Fingernägel?«
    »Unversehrt und ungewöhnlich sauber.
Keinerlei Anzeichen von Kampf beziehungsweise Verteidigung.«
    »Todeszeitpunkt?« Mendelski tat sich
schwer, in der unbequemen Hockposition die Balance zu halten.
    »Noch schwer zu sagen.« Frau
Dr. Grote kniff die Augen zusammen und blickte gen Himmel. Erneut setzte
feiner Nieselregen ein.
    »Kann ich bitte einen Schirm bekommen?«,
fragte die Pathologin, während sie vorsichtshalber ihren Arztkoffer zuklappte.
    Als Mendelski sich aufrichtete, tauchte
Maike Schnurs Gesicht über der Sichtblende auf, die sie zum Schutz vor
neugierigen Gaffern aufgestellt hatten. »Robert, kannst du mal kurz kommen?«
Sie rückte die Kapuze des weißen Overalls zurecht, die ihr vor die Augen
gerutscht war. »An der Absperrung sollen Angehörige des Mädchens stehen. Oder zumindest
jemand, der sie ganz gut kennt.«
    »Jemand aus der Jagdgesellschaft?«
    »So scheint es.«
    »Mach du das bitte erst mal. Ich bin hier
noch beschäftigt.« Deutlich lauter rief er in Richtung Kleinschmidt, der gerade
auf dem Weg zum Auto war: »Jo, bring uns bitte einen Schirm mit.«
    »Zurück zum Todeszeitpunkt«, fuhr Frau
Dr. Grote fort, nachdem sich Mendelski ihr wieder zugewandt hatte. »Hängt
davon ab, wie lange die Leiche hier schon liegt. Hier draußen, meine ich.
Letzte Nacht war es recht kühl. Jedenfalls ist die Totenstarre bereits am
ganzen Körper ausgeprägt. Ich schätze daher, dass sie etwa vor zwölf bis
fünfzehn Stunden gestorben ist.«
    »Also letzte Nacht so um Mitternacht oder
kurz danach?«
    Die Pathologin nickte und griff nach der
rechten Hand der Toten. »Was mich wundert, ist der Hautzustand. Schauen Sie
mal, die Fingerkuppen, diese Quellung und Runzelung der Oberhaut. Erinnert an
Waschhaut.«
    Mendelski guckte skeptisch. »Die
ungewöhnliche Blässe ist mir auch schon aufgefallen. Aber Waschhaut?«
    Frau Dr. Grote schaute sich um. »Hier
kann sie kaum im Wasser gelegen haben«, sagte sie. »Hier gibt es keine Mulde,
in der sich Regenwasser gesammelt haben könnte.«
    »Und der Schirm, bitte schön!«, meldete
sich Jo Kleinschmidt hinter ihnen. Eine Spur zu laut und zu fröhlich, befand
Mendelski, schwieg aber. Seine Mitarbeiter wussten, dass er in Gegenwart eines
Todesopfers ein Mindestmaß an Respekt diesem gegenüber erwartete. »Ich nehme
an, ihr wollt ihn über der Leiche haben«, sagte Kleinschmidt nun deutlich
leiser und zurückhaltender. Er hatte den tadelnden Gesichtsausdruck seines
Chefs bemerkt. Nachdem er den Schirm aufgestellt hatte, zog er wieder von
dannen.
    »Die oberflächige Nässe ist wahrscheinlich
auf den Regen zurückzuführen«, sagte Frau Dr. Grote. »Lassen Sie uns die
Leiche auf die Seite drehen. Ich muss wissen, ob ihr Rücken auch durchnässt
ist.«
    Mendelski schob seine behandschuhten Hände
unter den Oberkörper des Mädchens und hob diesen leicht an. Frau Dr. Grote
nahm ein Bein und half im Beckenbereich nach.
    Als sich mit dem Oberkörper auch der Kopf
des leblosen, starren Körpers zur Seite neigte, hielten sie plötzlich inne.
Beide starrten auf das Gesicht des Mädchens. Aus der Nase ergoss sich eine
Flüssigkeit.
    Ein ganzer Schwall Wasser lief aus beiden
Nasenlöchern.
    »Rasch, einen Beutel!«, rief Mendelski
mehr zu sich selbst als zu Frau Dr. Grote. Aus der Seitentasche seines
Overalls kramte er eine Beweismitteltüte hervor, öffnete sie und fing damit
einige Tropfen der Flüssigkeit auf.
    »Da dürfte noch mehr sein«, mutmaßte die
Pathologin. »Im Magen, im Zwölffingerdarm und in den Keilbeinhöhlen.«
    »In der Lunge doch auch, oder?«
    »Nur vielleicht. Meist sind die Lungen bei
Wasserleichen trocken. Wegen der enormen Überblähung.«
    »Bei Wasserleichen?« Mendelski hatte sich
erhoben, um seine eingeschlafenen Beine zu bewegen. »Sind Sie denn sicher, dass
das Mädchen im Wasser

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