Schicksalsnacht in Atlantic City (German Edition)
PROLOG
2. Januar, Sterling Palasthotel und Kasino
Atlantic City, New Jersey
Seit zwei Stunden schon saß Devlin Campbell an einem der Blackjack-Tische, doch er war mit seinen Gedanken nicht bei dem Spiel. Stattdessen musste er immer an den Brief denken, den er sich heute Morgen noch in aller Hast in die Manteltasche gesteckt hatte. Normalerweise ließ Devlin sich nicht leicht aus der Ruhe bringen, aber dieses Schriftstück eines Anwaltsbüros in Kalifornien hatte ihn schlicht umgehauen. Und da er den Brief nicht vergessen konnte, hatte er sich fest vorgenommen, ihn einfach zu ignorieren.
Er stürzte seinen vierten Scotch mit Wasser herunter und blickte zu der Frau hoch, die schweigend hinter ihm stand und ihm über die Schulter sah. Schon bevor er halb betrunken war, hatte sie ihm gut gefallen. Sie hatte langes hellbraunes glänzendes Haar, ihr Körper hatte die Kurven an den richtigen Stellen, aber ihr Lächeln wirkte aufgesetzt, denn die schönen blauen Augen blickten ernst. Seltsamerweise fühlte Devlin sich von ihrer Traurigkeit genauso angezogen wie von ihrem aufregenden Körper. Er wusste nicht, wie sie hieß, aber sie hatte ihm Glück gebracht, seit er sie vor gut einer Stunde das erste Mal erblickt hatte.
Er war mit ein paar Hundert Dollar im Minus, als er sie auf seinen Tisch zukommen sah. Sie blieb stehen und sprach mit einem Angestellten des Kasinos, der in eine andere Richtung wies. Sie folgte seiner Handbewegung kurz mit den Blicken, dann aber sah sie Devlin an und schien zu erstarren. Sie riss lediglich die Augen auf, und ein paar endlose Sekunden lang starrten die beiden sich an. Dann wurden die Karten wieder verteilt, und Devlin musste sich auf das Spiel konzentrieren. Er gewann.
Als er sich wieder nach der Frau umdrehte, war sie verschwunden. Doch plötzlich tauchte sie wieder neben ihm auf, und er legte ihr schnell die Hand auf den Arm.
„Warten Sie“, sagte er, leicht atemlos, weil die Berührung ihn wie ein Stromstoß durchfuhr. „Sie bringen mir Glück.“
Erstaunlicherweise blieb sie tatsächlich stehen. Und immer, wenn sie in der nächsten Stunde weitergehen wollte, bat er sie zu bleiben, mehr mit den Augen als mit Worten. Er nannte sie seine Glücksfee und hoffte, sie wenigstens einmal lächeln zu sehen. Aber sie blieb ernst, und die Traurigkeit in ihren Augen schien sich eher noch zu vertiefen.
Dennoch tat sie, was er wollte, auch als sich allmählich eine Traube von Menschen um sie sammelte, die neugierig war, wann seine Glückssträhne wohl abreißen würde. Devlin riskierte immer höhere Einsätze, die Sicherheitskräfte näherten sich unauffällig. Sie sahen Devlin sehr genau auf die Finger, aber es ging alles mit rechten Dingen zu. Momentan war Devlin egal, ob er gewann oder verlor. Er brachte gerade mal die nötige Konzentration auf, um dem Spiel überhaupt zu folgen.
Und dennoch gewann er unentwegt.
Devlin ließ die Eiswürfel in dem bereits wieder leeren Glas klingeln, setzte es dann ab, weil neu ausgeteilt wurde. Vorsichtig hob er die Kartenecken an. Ein Bube und eine Fünf, also fünfzehn Punkte. Jeder andere Spieler würde sich damit zufriedengeben, aber Devlin ging das Risiko ein und ließ sich noch eine Karte geben.
Eine Sechs. Damit hatte er 21 Punkte und wieder gewonnen. An manchen Abenden klappte eben einfach alles.
Um ihn herum wurde anerkennendes Gemurmel laut. Die Glücksfee beugte sich zu ihm herunter. „Ich muss jetzt wirklich gehen. Herzlichen Glückwunsch.“
Er drehte sich zu ihr um. „Ich möchte Sie zum Dinner einladen.“
Sie richtete sich auf. „Ich kann nicht“, sagte sie leise.
Dann entfernte sie sich von seinem Tisch. Er hätte sie mit Gewalt zurückhalten müssen, ein Gedanke, der ihm kurz kam. Aber dann sah er ihr nur hinterher, wie sie in der Menge verschwand. Was sie wohl für ein Mensch war? Was hatte sie erlebt, dass sie so traurig war? Und dieser Körper ... ihm wurde heiß.
Das Spiel hatte seinen Reiz für ihn verloren. Er nahm seine Chips, ging zur Kasse und löste sie ein. Und nun? Er konnte schlecht nach Philadelphia fahren, nicht wenn er vier Scotch getrunken hatte.
Er sollte sich ein Zimmer nehmen, sich etwas zu essen kommen lassen und sich mit dem Brief beschäftigen, den Erinnerungen ...
Er zögerte und war sich unsicher, was er tun sollte. Das war sehr ungewöhnlich für ihn, denn normalerweise entschloss er sich sehr schnell. Aber in diesem Fall spielten alte Gefühle eine Rolle, und bei allem, was mit Emotionen zu tun
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