Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
»Ich weiß.«
Lelû schloss Tikia in die Arme. »Gott wird nicht zulassen, dass du dort oben in den eiskalten Bergen vereinsamst. Kenzô wird eine Lösung einfallen. Er wird nach dir suchen und dich glücklich machen. Ganz bestimmt! Er ist ein kluger Junge. Ihm wird schon eine Lösung einfallen …«
»NEIN!«, schrie Tikia verzweifelt auf. »Du darfst ihn auf gar keinen Fall zu mir lassen, Lelû! Das wäre sein sicherer Tod! Er würde mich nicht finden und den Wölfen zum Opfer fallen. Du musst ihn aufhalten, wenn er mir folgen will, hörst du?«
»Ich werde es versuchen«, murmelte Lelû traurig. »Geh jetzt! Wenn er aufwacht, wird er sich sofort auf die Suche nach dir machen. Dann darf er dich nicht mehr hier finden. Lauf! Ich kümmere mich um ihn.«
»Danke«, sagte Tikia leise, wandte sich um, rannte weg vom Friedhof, den Bergen entgegen. Koon lief ihr einige Meter voraus. Auch er drehte sich nicht mehr nach der Stadt um.
Als sie außer Sichtweite war, setzte sich Lelû auf den Boden und ließ ihren Tränen freien Lauf. »Beschütze deine Tochter, Kerû!«, schluchzte sie verzweifelt. »Beschütze sie …«
KAPITEL 38
Kenzôs Entscheidung
Blinzelnd öffnete Kenzô die Augen und blickte verwirrt umher.
»Was …?«, murmelte er schwach.
Nach einer Weile erkannte er Dr. Tzerenjô und seine Mutter, die besorgt um sein Bett standen. Augenblicklich war er bei voller Besinnung.
»Wo ist Tikia?«, brauste er auf. »Was ist passiert?«
Bedrückende Stille breitete sich in seinem Zimmer aus. Betreten blickten sich Shila und Dr. Tzerenjô an.
»Wo ist sie?«, wiederholte Kenzô scharf seine Frage. Abrupt richtete er sich auf, doch ein stechender Schmerz in seinem Kopf ließ ihn zurücksinken.
Dr. Tzerenjô beugte sich sofort besorgt über ihn. »Geht es …?«, fragte er Kenzô behutsam.
»Ja!«, antwortete er und wiederholte seine Frage.
»Tikia ist zurückgegangen«, sagte Dr. Tzerenjô behutsam.
Kenzô starrte den Arzt ungläubig an.
»Das ist das Beste für alle, Liebling. Ihr Zuhause sind nun einmal die Berge«, versuchte Shila ihren Sohn verzweifelt zu beruhigen.
»Aber warum bin ich hier? Ich wollte sie doch begleiten! Ich habe es ihr doch versprochen!«, begehrte er auf.
Shila warf Dr. Tzerenjô einen flüchtigen Blick zu, dann sagte sie an Kenzô gewandt: »Sie hat dich niedergeschlagen, Kenzô!«
»Was?!«, schrie Kenzô fassungslos.
»Es tut mir so leid für dich …«, sagte seine Mutter leise.
Wütend richtete Kenzô sich auf, stieg aus dem Bett und zog sich an. Sein Kopf dröhnte unheimlich, doch dieser Schmerz war nichts gegen den, den Tikias Verschwinden ausgelöst hatte. »Warum hat sie mich nicht mitgenommen?«, schrie er verzweifelt. »Selbst wenn ich ihr gleichgültig sein sollte, hätte ich ihr doch immerhin Gesellschaft leisten können. Also, warum ist sie ohne mich gegangen?«
Wütend packte Dr. Tzerenjô Kenzô an den Schultern. »Verstehst du denn nicht, Junge? Sie liebt dich! Deshalb konnte sie dich nicht mitnehmen. Sie wollte nicht noch einen Menschen verlieren, den sie über alles liebt. Sie ist vielleicht stärker als alle Mädchen, die du kennst, aber sie ist auch nur ein Mensch. Sie wusste, dass sie es sich niemals verzeihen könnte, würde dir ihretwegen etwas zustoßen. Sie wusste, dass sie einen solchen Verlust nicht verkraften könnte.«
»Sie ist nicht stark! Sie tut nur so, damit sich niemand um sie sorgt. Sie braucht mich!!!«, herrschte Kenzô Dr. Tzerenjô an.
»Natürlich braucht sie dich! Aber ihr war klar, dass du einem Leben in den Bergen nicht gewachsen wärst und sie dich verlieren würde. Und du weißt das auch. Genau wie Shila und ich es wissen! Deshalb hat sie dich niedergeschlagen. Weil sie wusste, dass das die einzige Möglichkeit war, dich davon abzuhalten, mit ihr zu gehen und dich in Lebensgefahr zu bringen. Egal was sie gesagt hätte, du wärst ihr gefolgt und dort oben umgekommen.«
»Aber ich hätte bei ihr sein können!«, schrie er gequält auf und warf die beiden Erwachsenen kurzerhand aus seinem Zimmer.
In seiner Wut und Verzweiflung hatte Kenzô die Bilder von den Wänden gerissen und alles zerschlagen, was er zu packen bekam.
Als er nach einiger Zeit sein Zimmer betrachtete, schrie er gequält auf. Verzweifelt ließ er sich auf sein Bett fallen.
An der Haustür verabschiedete Shila Dr. Tzerenjô erschöpft.
Tröstend schloss Keratô sie in seine Arme und drückte sie fest. »Gib nicht auf, Kleines!«, flüsterte er ihr leise
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