Wollust - Roman
ist.«
»Wir können uns einen teilen.«
»Was bedeutet, dass ich neunzig Prozent davon abbekomme.«
»Wie wär’s, wenn wir den Nachtisch vergessen und nur einen Kaffee nehmen? Du siehst etwas angeschlagen aus.«
»Tatsächlich?« Decker strich sich über seinen Bart in Rot und Grau, als würde er angestrengt nachdenken. Während seine Gesichtsbehaarung noch Spuren seines jugendlichen, ungestümen Farbtons enthielt, war sein Haupthaar mittlerweile eher weiß, aber wenigstens ausreichend vorhanden.
Er lächelte seine Frau an. Rina trug ein dunkellilafarbenes Satinkleid, das sie im Kleiderschrank ihrer Mutter deponiert hatte. Auch wenn sie viel zu religiös war, um jemals Dekolleté zu zeigen, betonte ihr Ausschnitt dennoch die wunderschöne Linie ihres Halses. Zu ihrem fünfundvierzigsten Geburtstag hatte er ihr Ohrstecker mit zweikarätigen Diamanten geschenkt, und sie trug sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Er liebte es, teure Dinge an ihr zu sehen, auch wenn das aufgrund seines Gehalts nicht sehr oft vorkam. »Ich schätze, ich bin ein bisschen müde.«
»Dann lass uns einfach nach Hause gehen.«
»Nein, nein. Ich könnte wirklich eine Tasse Kaffee gebrauchen.«
»Gut.« Rina streichelte seine Hände. »Du bist nicht nur müde, du bist besorgt. Was ist heute Nachmittag passiert?«
»Das habe ich dir doch schon erzählt. Alles verlief ruhig.«
»Und trotzdem treibt dich noch etwas um.«
Decker wählte seine Worte sorgfältig. »Als sie mit ihm geredet hat … da wirkte sie so selbstsicher … eindeutig Herrin der Lage.«
»Vielleicht war sie das durch deine Anwesenheit ja auch.«
»Ganz bestimmt lag es unter anderem daran. Und er war zerknirscht, also hatte sie bis zu einem gewissen Grad freie Hand. Ich weiß nicht, Rina. Sie kommandierte ihn fast herum. Und beim Mittagessen redete eigentlich nur sie.«
»Konntest du sie hören?«
»Ich konnte sie sehen. Sie beherrschte das Gespräch.«
»Vielleicht redet sie viel, wenn sie nervös wird.«
»Möglich. Bevor wir zum Essen gingen, haben wir uns kurz unterhalten. Sie fing plötzlich an zu zittern und hatte einen richtigen Schweißausbruch.«
»Na, da haben wir’s doch.«
»Aber da war noch etwas anderes, Rina. Ohne die Einzelheiten all der ganzen Geschichten im Hintergrund zu kennen, hätte ich geschworen, dass sie beim Essen mit ihm geflirtet hat – und zwar regelrecht sexy. Irgendwas war komisch.«
»Was ist daran komisch? Sie mag ihn.«
»Vor sechs Wochen hat er sie zusammengeschlagen.«
»Sie weiß, mit wem sie es zu tun hat, und trotzdem gibt es da noch etwas an ihm, das sie anziehend findet. Sie trifft schlechte Entscheidungen. Dadurch hat sie sich ja erst in diese Lage hineinmanövriert, um genau zu sein. Niemand hat ihr damals befohlen, ihn im Gefängnis zu besuchen und ohne Empfängnisverhütung mit ihm zu schlafen.«
»Sie ist kein dummes Mädchen, Rina. Sie ist eine pflichtbewusste Mutter und Ärztin in der Notaufnahme.«
»Wie wir alle hat sie positive Seiten und ein paar Schwachpunkte. In Terrys Fall sind ihre Schwächen gesundheitsschädlich.« Sie beugte sich vor. »Aber wie ich bereits heute Morgen gesagt habe, Peter, ist das nicht dein Problem. Du bist ein bezahlter Helfer. Sie hat dir Geld gegeben, und du hast deine Arbeit getan. Willst du es nicht einfach dabei bewenden lassen?«
»Du hast recht.« Decker richtete sich auf und küsste ihre Hand. »Wir haben eine Verabredung zum Abendessen, und du verdienst einen Ehemann, der nicht im Koma liegt.«
»Wie wär’s mit einem Kaffee?«
»Genau das Richtige!« Decker grinste. »Ich hätte auch nichts gegen einen Nachtisch.«
»Pfirsichkuchen?«
»Der soll’s sein. Wagen wir es, ihn mit Vanilleeis oder jeder anderen verfügbaren gefrorenen Kreation zu bestellen, um das volle Programm zu simulieren?«
Rina lächelte. »Na klar, lass uns ausflippen.«
Das Handy klingelte, als sie im Auto gerade die Höhen des Freeway 405 erreicht hatten und ins San Fernando Valley eintauchten. Die Hügel auf beiden Seiten sorgten für schlechten Empfang. Da Decker am Steuer saß, nahm Rina das Handy aus seiner Manteltasche.
»Falls es Hannah ist, sag ihr, dass wir in ungefähr zwanzig Minuten zu Hause sind.«
»Es ist nicht Hannah. Ich kenne die Nummer nicht.« Sie drückte den Annahmeknopf. »Hallo?«
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte Stille. Einen Moment lang dachte Rina, sie hätte keinen Empfang mehr, aber dann sah sie, dass das Handy die Verbindung nicht
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