Women of Primrose Creek 01 - Wildes Lied der Liebe
verbracht, da ihre Mutter darauf bestanden hatte. Jenny Davis McQuarry hatte in Virginia einigen Staub aufgewirbelt, als sie ihren trunksüchtigen Ehemann verlassen hatte und mit einem britischen Adligen durchgebrannt war. Bald stellte sich heraus, dass Jennys neue Liebe kein Earl war, wie er sie hatte glauben machen wollen, sondern nur ein unbedeutender Baron, doch immerhin gehörte ihm der Landsitz Fieldcrest in der Grafschaft Devon. Umgehend sorgte er dafür, dass die beiden Töchter seiner Braut auf das Internat St. Marthas in der Nähe von London geschickt wurden - trotz des schwachen Protests der Mutter -, und machte niemals einen Hehl daraus, dass ihm lieber gewesen wäre, man hätte die beiden Mädchen gleich bei ihren ungehobelten amerikanischen Verwandten gelassen. Als Jenny im Winter achtzehnhundertsechsundsechzig plötzlich einem Fieber erlag, verlor ihr Gemahl keine Zeit, seine beiden Stieftöchter in die Vereinigten Staaten zurückzuschicken.
Christy wäre überglücklich gewesen, nach Hause zurückkehren zu können, wusste jedoch, dass sie und Megan inzwischen kaum noch Familienangehörige besaßen. Ihr Vater und Onkel J.R. waren beide im Bürgerkrieg gefallen. Als die Schiffspassagen bereits gebucht waren, erreichte Christy und Megan die Nachricht vom Tod ihres ge li ebten Großvaters in einem förmlichen Schreiben seiner Anwälte. Angesichts des doppelten Verlustes, erst der Mutter und nun des Großvaters, wurde Christy von Angst gepackt, die sie jedoch vor ihrer Schwester stets zu verbergen suchte. Sie verfasste einen unüberlegten Brief an ihre Cousine, den sie bald bereuen sollte, in dem sie Bridget das Stück Land zum Kauf anbot, das Gideon McQuarry ihr und Megan in seinem letzten Willen zugedacht hatte. Vor der Abreise blieb jedoch keine Zeit mehr, auf eine Antwort von Bridget zu warten, ferner hatte Christy kein Recht, über den Anteil ihrer Schwester ebenso zu verfügen wie über den ihren. Die Schwestern besaßen nur ihre Kleidung - zu der sowohl ihre hässlichen Schuluniformen gehörten als auch einige Ballkleider aus Jennys Besitz -, ein Service, das einst ihrer Großmutter Rebecca gehört hatte, und einige wenige Schmuckstücke, die Jenny im Laufe ihrer beiden stürmi sc hen Ehen angesammelt hatte. Als sie Virginia endlich erreichten, trafen sie auf der Farm ihres Großvaters nur Fremde an. Großvater war auf dem kleinen Familienfriedhof begraben worden, neben seiner schönen Frau, die schon viele Jahre zuvor bei einem Reitunfall ums Leben gekommen war. Onkel J.R. ruhte neben seinem Vater unter einem eindrucksvollen Grabstein aus Granit, dessen Inschrift ihn als Helden der Union bezeichnete. Christys und Megans Vater Eli hatte neben seiner Mutter Rebecca die letzte Ruhe gefunden, wenn auch ein wenig abseits der anderen Gräber. So schien es Christy jedenfalls. Das Holzkreuz auf seinem Grab besagte, er habe tapfer unter dem Befehl des großen Generals Robert E. Lee gekämpft.
Es hatte keinen Grund gegeben, in Virginia zu bleiben, da sowohl die Familie als auch die Farm für immer verloren waren.
»Ma'am?«, fragte der Marshal und riss damit Christy aus ihren trüben Gedanken. Er mochte wohl etwa dreißig Jahre alt sein, schätzte Christy. Seit sie Fort Grant verlassen hatten, war sie bemüht gewesen, nicht über Mr. Shaw nachzudenken. Er schien sich in seiner Haut wohl zu fühlen und hatte die Angewohnheit, oft ein Lied vor sich hin zu pfeifen. Seine Nähe schien Christy immer wieder den Atem zu rauben, und sie fühlte sich, als zöge man ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie hatte damit gerechnet, dass sich diese Gefühle auf der Reise legen würden, zumal sie und Mr. Shaw niemals einer Meinung waren. Stattdessen jedoch hatten sich ihre Empfindungen nur verstärkt, wofür sie einzig dem Marshal die Schuld gab. »Wir sollten wohl hinunterreiten und Ihre Familie wissen lassen, dass Sie angekommen sind.«
Hinter Christy und dem Marshal wartete Caney auf dem Kutschbock des Planwagens, den sie den ganzen Weg von Virginia nach Nevada gelenkt hatte. Caney, die auch Miss Blue genannt wurde, hatte noch auf der Farm gelebt, als Christy und Megan aus England gekommen waren. Sie und ihr Mann Titus waren als freie Schwarze auf Gideons Farm beschäftigt gewesen, da dieser niemals Sklaven gehalten hatte. Seit kurzem verwitwet und »schrecklich einsam«, hatte Caney beschlossen, die Schwestern auf dem Treck nach Westen zu begleiten, in den brandneuen Bundesstaat Nevada, dessen Reichtum an Silber
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