Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
Aufgabe, in der Umgebung Granadas Steuern einzutreiben. Diese Tätigkeiten sind in administrativen Schreiben belegt; es fehlen jedoch alle Dokumente, die etwas über Cervantes’ persönliche oder literarische Pläne oder die Umstände seiner Heirat (1584) mit Catalina de Salazar aussagen könnten.
Die Aufgaben in Andalusien brachten durch den staatlich verordneten Zugriff auf Kirchengüter Konflikte mit der Kirche, sodass er exkommuniziert wurde. Ähnlich bedingt waren seine verschiedenen Gefängnisaufenthalte in Andalusien. Die steuerlich ausgepressten Untertanen versuchten sich gegen die Zahlungen zu wehren, indem sie die Steuereintreiber der Willkür und der persönlichen Bereicherung beschuldigten. Schließlich ereilte Cervantes ein weiteres Missgeschick: Der Bankier, dem er die eingetriebenen Gelder anvertraut hatte, machte Bankrott und floh mit dem restlichen Geld. So musste Cervantes zwischen Oktober 1597 und April 1598 in Sevilla den längsten seiner Gefängnisaufenthalte antreten. Da er im Vorwort des »Don Quijote« angibt, das Werk im Gefängnis »gezeugt« zu haben, wird seine Entstehung in diesem Zeitraum vermutet.
EIN SPÄT BERUFENER LITERAT
Cervantes’ Scheitern bei dem Versuch, in der spanischen Gesellschaft einen seinen Verdiensten und Fähigkeiten angemessenen Platz zu erhalten, machte ihm klar, dass er über eine Rolle als Außenseiter nicht hinausgelangen würde. Nicht weniger wichtig aber war für ihn die Erkenntnis, dass das einst mächtige Spanien Karls V. und Philipps II. sich in einer tiefen Krise befand. Cervantes war sich bewusst, dass diese wirtschaftliche mit einer geistigen Krise verbunden war und Spaniens Gesellschaft in einer falschen Wertordnung erstarrt war. Als er nach der Jahrhundertwende sein literarisches Werk wieder aufnahm, schrieb er gegen diese Ordnung an. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass alles Schreiben nur unter den Bedingungen einer doppelten Zensur von Staat und Kirche (Inquisition) erfolgen konnte, vieles daher ganz verschwiegen werden musste und anderes nur angedeutet werden konnte. Darin liegt der Grund für so manche Schwierigkeit bei der Cervantes-Interpretation.
EINE IDEALISTISCHE WELT: DIE » GALATEA«
Die »Galatea« gehört zur Schäferdichtung der europäischen Renaissance, einer Gattung, in der Autoren und Leser aus der Alltagswelt fliehen, um sich der Utopie einer besseren Welt hinzugeben. Diese Utopie stellte sich ihnen in der Welt der Hirten dar, die frei ist von allen gesellschaftlichen Zwängen und in der eine wohlmeinende Natur alle materiellen Bedürfnisse der Schäferinnen und Schäfer stillt, die sich so einem reinen »Menschsein« hingeben können, einem Leben der Liebe und des Dichtens. All dies findet sich auch in Cervantes’ »Galatea«.
Der handlungsarme Roman schildert die Liebe Elicios zu der schönen Galatea, die sich, auf ihrer Freiheit beharrend, seiner Leidenschaft entzieht. Das Werk bricht abrupt ab, als Galateas Vater in diese Idylle eindringt und seine Tochter zur Ehe mit einem von ihr nicht geliebten, reichen portugiesischen Schäfer zwingen will.
Cervantes vertritt eine prinzipiell optimistische Sicht des Menschen, in deren Zentrum die Idee der Freiheit und der Selbstverantwortung des Einzelnen steht, sowie die – utopische – Vorstellung einer friedvollen, gerechten und glücklichen Ordnung der diesseitigen Welt. Dies sind Ideen, die zum geistigen Erbe des Humanismus und der Renaissance gehören. Cervantes’ uneingestandener Widerpart war eine rigoristische Theologie, die während des ganzen 16. und 17. Jahrhunderts der Literatur eine eigenständige Würde und Legitimität absprach und insbesondere den Roman bekämpfte. Der Dichter bekennt sich immer wieder zur Trennung der »göttlichen« von den »menschlichen« Dingen. Diese Letzteren sind für ihn Gegenstand der Literatur, die er im »Don Quijote« (Teil II, Kapitel 16) über alle Wissenschaften stellt. 1600 oder 1601 kehrte der durch vielerlei Enttäuschungen gereifte und lebenserfahrene Cervantes nach Madrid zurück. In den ihm verbleibenden knapp 15 Lebensjahren hat er dann fast sein gesamtes literarisches Werk verfasst und drucken lassen, wobei er immer auf die Unterstützung von Mäzenen angewiesen blieb.
PHILIPP II. UND DER RUIN SPANIENS
Philipp II. (1556–1598) erbte den spanischen Thron mit den Kolonien in Amerika, den Niederlanden, Neapel, Sizilien und Sardinien. Seine Regierungszeit verlief, auch aufgrund der aufkommenden Reformation, eher
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