Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
entsagen. Doch sie wird die Geliebte des Leander, der nachts zu ihr übers Meer schwimmt, bis er eines Nachts ertrinkt, als die von Hero für ihn entzündete Lampe von einem Priester gelöscht wird. Nachdem Hero den angespülten Leichnam erkennt, beschuldigt sie in Trauer und Schmerz den Priester, um dann zu sterben. Die Liebe als Ausdruck der Lebensfreude hat sich in Tod verwandelt.
DER SCHLUSSAKT
Wie die 1848 entworfene, drei Jahre später vollendete historisch-politische Staatstragödie »Ein Bruderzwist in Habsburg«, das wohl bedeutendste und gedankenschwerste seiner Schauspiele, wurden auch die anderen beiden Altersdramen Grillparzers, »Libussa« und »Die Jüdin von Toledo«, die in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entstanden, erst nach dem Tod ihres Schöpfers veröffentlicht und aufgeführt.
Sein ideelles Vermächtnis »Ein Bruderzwist in Habsburg« stellt den ohnmächtigen künstlerischen Versuch dar, die Traditionen der Habsburger Monarchie als erhaltenswerten Idealzustand zu verkünden. Rudolf II., an der geschichtlichen Wende – unmittelbar vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1618–48) – angesiedelt, will eine schon auseinander strebende Welt durch Nichthandeln bewahren, hält an der Utopie einer Friedensordnung fest und begünstigt gerade dadurch die Heraufkunft der verworrenen neuen Zeit, die durch seinen Gegenspieler und Bruder Mathias verkörpert wird, der nach der Kaiserkrone strebt. Die Charakterzüge der Figur des Kaisers Rudolf sind vielfach denen Grillparzers verwandt, weswegen das Stück wohl zu Recht auch als dessen dramatisches Testament bezeichnet wurde.
»Libussa« verwandelt die sagenhafte Gründung Prags zum dramatischmärchenhaften Stoff. Die gleichnamige Zauberin verkörpert den gewachsenen, mythisch verwurzelten Volksorganismus, die irrationale Quelle der »Gemeinschaft«, das Weiblich-Mütterliche des Ursprungs und zugleich das Hohe, Edle. Ihr steht in der Gestalt des Gemahls Primislaus das harte, männliche Staatsprinzip gegenüber. Im Wechsel der Zeitalter folgt auf das matriarchalische System die patriarchalische Ära der Staats- und Stadtgründung, die sich unbegrenzt der Technik bedient, um die moderne Zivilisation hervorzubringen. Der fünfte Akt endet mit der hymnischen Vision, dass nach einer langen Zeit der Entfremdung die Menschen wieder einen Zustand der Humanität erreichen werden.
Im letzten Drama Grillparzers, dem Stück »Die Jüdin von Toledo«, wird die tragische Diskrepanz zwischen einer alles beherrschenden Sinnlichkeit und unerbittlichen gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen thematisiert. König Alphons von Kastilien verfällt der Leidenschaft zur schönen Jüdin Rahel so sehr, dass er über dieser erotischen Obsession seine Königspflichten vergisst. Um der Staatsraison willen wird die Jüdin auf Befehl der Königin und der spanischen Würdenträger getötet.
GRILLPARZERS HAUPTWERKE
Die Ahnfrau (1817)
Das goldene Vließ (1822)
König Ottokar’s Glück und Ende (1825)
Ein treuer Diener seines Herrn (1830)
Des Meeres und der Liebe Wellen (Uraufführung 1831; gedruckt 1840)
Der Traum ein Leben (Uraufführung 1834; gedruckt 1840)
Weh’ dem, der lügt! (Uraufführung 1838;
gedruckt 1840)
Der arme Spielmann (1847)
Libussa (1872, posthum)
Die Jüdin von Toledo (1873, posthum)
Ein Bruderzwist in Habsburg (1872, posthum)
Am 21. Januar 1872 starb Grillparzer in Wien. Er ging vor allem als Dramatiker in die Literaturgeschichte ein. Doch darf darüber nicht vergessen werden, dass er – umfassend gebildet – auch als Autor wichtiger Studien zur Literatur, Kunst und Geschichte hervortrat, dass seine Tagebücher und seine Selbstbiografie zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der Literatur des 19. Jahrhunderts zählen und dass er mit den Erzählungen »Das Kloster bei Sendomir« (1828) und »Der arme Spielmann« (1847) wichtige Beiträge zur klassischen deutschen Prosakunst geliefert hat. Liest man die Liste seiner späteren Bewunderer, weiß man um den Rang seiner Kunst. Adalbert Stifter und Franz Kafka zählten dazu, Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal und, teilweise, Robert Musil; Karl Kraus bezeichnete ihn – trotz mancher Einwände – als den größten österreichischen Dichter.
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