Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
»Glanz und Elend der Kurtisanen« sowie der zweite Teil der »Verlorenen Illusionen«.
»DIE MENSCHLICHE KOMÖDIE«
1840 wählte Balzac, mittlerweile Präsident der Pariser »Literatengesellschaft« und aussichtsreicher – wenn auch schließlich erfolgloser – Bewerber um einen Platz in der Académie française, in Anlehnung an Dantes »Göttliche Komödie« für sein Gesamtwerk den Obertitel »Die menschliche Komödie«. Am 2. Oktober 1841 konnte er endlich einen Verlagsvertrag über die Herausgabe seiner gesammelten Werke mit diesem Titel mit einem Verlegerkonsortium unterzeichnen.
Im Juli des Jahres 1842 entstand auch jene berühmte Vorrede, die bis heute als sein wichtigster literaturtheoretischer Text gilt. Balzac wollte als »Sekretär der Geschichte« nicht die innere »zeitlose« Wirklichkeit des menschlichen Verhaltens schlechthin zeigen, sondern eine ganz bestimmte gesellschaftliche Wirklichkeit, wie sie aus der Revolution hervorgegangen war und die durch die Abschaffung der Ständegesellschaft eine neue Ordnung hervorgebracht hatte, die durch die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Klassen gekennzeichnet war. Dem Gesamtwerk liegt als Leitgedanke eine philosophische Vision von der Einheit alles Seienden zugrunde. Dieser Gedanke wird kompositorisch in der durchorganisierten Ganzheit des Romans umgesetzt, die sich beispielsweise in der Ordnung der Romane zu Serien und der Gliederung des Stoffes durch Wiederkehr der Personen niederschlägt. Der Klassifikationsgedanke, den Balzac damit dichterisch gestaltete, ist der Naturwissenschaft entlehnt. Seine Sittengeschichte sollte die menschlichen Typen so klassifizieren, wie der Naturforscher Buffon es für die Tierwelt in der »Histoire naturelle« getan hatte.
Die Zielsetzung, mit seinen Romanen eine Art Sozialgeschichte zu schreiben, unterstreicht Balzacs wissenschaftliche Ambitionen. Der Mensch wird von ihm als Exemplar einer bestimmten Gruppe der Gesellschaft aufgefasst. Diese wurde in »Arten« gegliedert, die sich in ihrer Handlungs- und Erscheinungsweise zwar unterscheiden, jedoch im Unterschied zum Tierreich – aufgrund der gesellschaftlichen Dynamik und sozialen Mobilität (etwa in Form gesellschaftlichen Auf- oder Abstiegs) – die »Art« wechseln können. Die Gestalten sind häufig zugleich typisch und individuell und verbinden so das Allgemeine mit dem Besonderen.
» GLANZ UND ELEND DER KURTISANEN«
Der vierteilige, 1839–47 erschienene Romanzyklus »Glanz und Elend der Kurtisanen« bildet die Fortsetzung von »Verlorene Illusionen«.
Die Hauptfigur des Geschehens ist wieder der junge Dichter Lucien de Rubempré, weitere Akteure sind der entflohene Sträfling Collin (Vautrin), der sich als spanischer Abt ausgibt und große Macht auf Lucien ausübt, und die ehemalige Dirne Esther, die Collin als Kurtisane für Lucien unterhält. Nachdem der alte, reiche Bankier Nucingen in Liebe zu Esther entflammt ist, verlangt Collin eine große Menge Geld von ihm – Lucien benötigt es, um sich vorteilhaft zu verheiraten. Als Nucingen die Geheimpolizei einschaltet, nimmt das Schicksal seinen Lauf: Esther vergiftet sich, und als Wertpapiere Nucingens verschwinden, bezichtigt man Collin und Lucien des Raubmordes. Während sich Lucien erhängt, gelingt es Collin mit List, jeden Verdacht gegen sich zu entkräften und zudem den Chef der Sicherheitspolizei eines Verbrechens zu überführen und dessen Posten zu übernehmen.
Als 1843 der letzte Teil der »Verlorenen Illusionen« erschien, war Balzacs Gesundheit bereits stark angegriffen. Aber er schrieb fieberhaft weiter. So entstanden unter anderem »Die Frau von dreißig Jahren« und »Die Bauern«, die jedoch ein Fragment blieben. Als Feuilletonveröffentlichung folgte 1846 »Tante Lisbeth«, im folgenden Jahr »Vetter Pons« und der vierte Teil von »Glanz und Elend der Kurtisanen«, der dieses umfangreiche Werk beschloss. Er zeigt verschiedene Ebenen des gesellschaftlichen Lebens in Paris, kaum ein Bereich wird ausgespart, zahlreiche Berufe, von der Schauspielerin und Kurtisane bis zum Bankier, Politiker und Richter, werden porträtiert. Balzac ging es immer wieder darum, die verborgenen Mechanismen der gesellschaftlichen Maschinerie offen zu legen.
Am Ende avanciert der verbrecherische Collin, der bereits als Vautrin in »Vater Goriot« und »Verlorene Illusionen« aufgetreten war, zum Pariser Polizeichef, während der durch kriminelle Machenschaften und die Liaison mit der Kurtisane Esther
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