Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
führte 1836 dazu, das Tschaadajew für verrückt erklärt wurde. Er verfasste darauf 1837 seine »Apologie eines Verrückten«.
Nachdem Puschkin auf der Fahrt in den Süden erkrankt ist, reist er mit der Familie des Generals Rajewskij zum Kuraufenthalt nach Pjatigorsk. Dabei lernt er nicht nur die Landschaften des Nordkaukasus und der Krim kennen, sondern auch die »Orientalischen Erzählungen« Byrons, die ihn stark beeindrucken. Inzwischen ist seine Dienststelle in das bessarabische Provinznest Kischinjow verlegt worden, wo er es nicht lange aushält. Den Winter 1820/21 verbringt er in der benachbarten Ukraine, in Kamenka, einem Gut der ältesten Rajewskij-Tochter. Dort trifft er Mitglieder der Geheimgesellschaft der späteren »Dekabristen« und deren radikalsten Vordenker Pawel Pestel. Zu seinem Leidwesen (und Glück) weihen die Verschwörer den Dichter nicht in ihre Pläne ein und er kehrt im Frühjahr nach Kischinjow zurück. Dort wird er Zeuge des beginnenden griechischen Aufstands unter Fürst Alexandros Ypsilanti.
Die vier im Süden verbrachten Jahre – Puschkins eigentlich »romantische« Periode – sind gekennzeichnet von höchst widersprüchlichen Erlebnissen und Stimmungen bei im Ganzen ungebrochener Produktivität: Hochfliegende Begeisterung für die revolutionären Bewegungen im Süden Europas wechseln mit tiefster Niedergeschlagenheit bei ihrem jeweiligen Scheitern. Neben der Verzweiflung über die Isolation im entlegenen Kischinjow und der schmerzlichen Erinnerung an eine unerwiderte Liebe ist er verärgert über das Misstrauen der russischen Radikalen. All dies, wie auch das Bewusstsein der in Sankt Petersburg vergeudeten Jugend, ist Byrons »Weltschmerz« zutiefst verwandt, und die nun entstehenden »südlichen« Verserzählungen »Der Gefangene im Kaukasus« (1822), »Die Räuberbrüder« (1822), »Der Springbrunnen von Bachtschisaraj« (1824) und »Die Zigeuner« (1824) bringen dem Dichter nicht nur die Liebe des Lesepublikums, sondern auch den Ehrentitel »der russische Byron« ein.
Neben diesen ernsthaften Produktionen erlaubt er sich aber auch blasphemische Scherze wie die »Gabrieliade« (1822), eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte Parodie der Verkündigung Mariens, Provokationen der Provinzhonoratioren und Duelle, bei denen er große Kaltblütigkeit beweist. Übermut und Frustration sind die zwei Seiten der gleichen Medaille, wobei die Frustration 1823 obsiegt. In diesem Krisenjahr gelingt es den Sankt Petersburger Freunden, eine Versetzung Puschkins von Kischinjow an die Schwarzmeerküste nach Odessa zu erwirken. Hier, in quasi europäischer Umgebung, macht die Arbeit an dem bereits in Kischinjow begonnenen Versroman »Eugen Onegin« rasch Fortschritte und Puschkin löst sich von Byron.
REIFE
In seiner Literaturliste tauchen erstmals Shakespeare und Goethe sowie, nunmehr ernsthaft, die Bibel auf. Zu seinem neuen Vorgesetzten kann er kein rechtes Verhältnis aufbauen, zumal er sich auch noch in dessen Frau verliebt. Ein abgefangener Brief, in dem von – allerdings enttäuschenden – Atheismusstudien die Rede ist, liefert den Vorwand für seine Entlassung aus dem Staatsdienst und die Verbannung auf das kleine mütterliche Gut Michailowskoje im Gouvernement Pskow, wo er im September 1824 eintrifft. Diese zweite, nun auch amtlich so genannte Verbannung ist unbefristet. Am Anfang wird sie zudem belastet durch die Bereitschaft des Vaters, seinen Sohn zu überwachen.
Nach der Abreise der Eltern zur Sankt Petersburger Ballsaison bleibt der 25-Jährige unter behördlicher und kirchlicher Aufsicht in Michailowskoje zurück. Seine einzige Gesellschaft sind die alte Kinderfrau, die Damen eines benachbarten Gutes und ein paar Bauernmädchen. Er arbeitet an den im Süden begonnenen »Zigeunern«, dem »Eugen Onegin«, einem großen Gedicht (»An das Meer«), dem Gedichtzyklus »Nachahmungen des Korans«, einer großen Elegie (»André Chénier«) und dem berühmtesten Liebesgedicht der russischen Literatur, »Ein Augenblick ist mein gewesen«. Zudem studiert er Nikolaj Karamsins »Geschichte des russischen Staates« und August Wilhelm Schlegels Vorlesung »Über dramatische Kunst und Literatur«, sammelt auf den Märkten der Umgebung Volkslieder und lässt sich von seiner alten Njanja Märchen erzählen. In einem Brief bekennt er: »Meine Seele ist ganz reif geworden, ich kann schaffen.«
Nun entsteht die erste nicht mehr am französischen Klassizismus, sondern an Shakespeares
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