Wortstoffhof
es jetzt hier geht: dass die Süddeutsche Zeitung im Sommer 2004 einmal Tag für Tag einen Autor fragte, wann er eigentlich aufstehe.
Und was die Leute antworteten!
Kaum einer, von Yann Martel und Henning Mankell abgesehen, gab eine schlanke Antwort, teilte eine Uhrzeit mit oder so.
Nein, man las, dass Aris Fioretos sich auf Zehenspitzen aus dem Bett stiehlt »wie ein Dieb in der Nacht«, um sich dann, zwei orangefarbene Stöpsel in den Ohren, anzuschicken, »aus den Träumen Worte zu machen«.
Man las, dass Katja Lange-Müller aus einem Teller, der auf ungeöffneten Briefen steht, Linsensuppe frühstückt – unglaublich, aber anscheinend wahr.
Man las, dass Durs Grünbein gar nicht aufsteht, denn wer aufstehe, schrieb er, sei verloren. Man habe ihn ungefragt geboren, »und niemand fragt mich, ob ich sterben will. So leb ich hin und bald ist es vollbracht.«
Da bleiben einem gleich ganz früh die Linsensuppe im Hals und die Stöpsel in den Ohren stecken, so traurig ist das.
Mein Nummer-eins-Hit unter den Antworten: der wunderbare, leider verstorbene Walter Kempowski. Der stand zweimal auf, zuerst um sechs, duschte und rasierte sich, guckte aus dem Fenster – dann schlief er wieder. »Dann wird gelesen, und um neun erquickt an den Frühstückstisch geschritten. Hier kommt es zum Tagesgespräch mit meiner Frau, und dazu werden Marmeladenbrote gegessen.« Alles Passiv, aber besonders schön dieses »Tagesgespräch«, das offenbar einen so einmaligen, ritualisierten Charakter hatte. Was die Marmeladenbrote angeht: Da ruft der Leser von Uns geht’s ja noch gold mit Mutter K. ein herzliches: »Mahlpolzeipott! Fiss biste patzt!«
Auf Platz zwei meiner kleinen Antwort-Hitliste lag Michael Lentz mit dem Rat: »Bei Unschlüssigkeit, ob der zum Aufstehen angemessene Körperzustand erreicht ist, in einem unter dem Bett liegenden Buch lesen.« Ja nun, aber wie? Hat der Mann ein Glasbett? Liegt er, samt Buch, lesend unter seiner Lagerstatt?
Falls jemand übrigens unschlüssig ist, was er lesen sollte … Warum nicht mal wieder Max Frisch und seine Tagebücher, darin die Frage: »Wieso haben die Intellektuellen, wenn sie scharenweise vorkommen, unweigerlich etwas Komisches?«
B
BETÄUBUNGLÄRM
Gelegentlich erreichen mich deutsche Übersetzungen von Reiseprospekten, die in einem so süßen Deutsch abgefasst sind, dass man sofort aufbrechen möchte (→ Aufstellungsort des Seins ). Zum Beispiel die Gemeinde Santa Teresa Gallura auf Sardinien (das schickte Frau H. aus Erlangen), welche ihren Gästen schreibt: »Netter Gast, Willkommen zu Santa Teresa Gallura. Wir hoffen, daß die verhaltenen Auskünfte diese Broschüre ihr nützlich zurückkommen können. Santa ist Teresa Gallura eine kleine Mitte, wenig weniger weniger von fünftausend Einwohner …«
Dort, in Santa Teresa Gallura, befindet sich übrigens an einer Tankstelle ein Autostaubsauger, von dessen Existenz mich eine andere Leserin, Frau von K. aus Icking, unterrichtete. Sie las auf einem Schildchen dessen Gebrauchsanweisung: »Nur Stadtpulver können eingesaugt werden.« Frau von K. saugte Sand und Muscheln, was der Sauger erstaunlicherweise aber alles klaglos aufnahm und dem in seinem Inneren befindlichen Stadtpulver (oder im Falle von Santa Teresa Gallura, 4681 Einwohner, vielleicht eher: Städtchenpulver) hinzufügte.
Oder hier, das sandte eine Leserin, deren Brief ich leider verschlampt habe, ein ins Deutsche übertragenes Gedicht über die Isola Maggiore im Trasimenischen See:
» Es gibt keine Verkehrsampel,
Zebrastreifen und Schutzmann
mit dem Taschenbuch,
keine Auto-Mopeds
Betäubunglärm.
Ist deiner Kopf zu schwer,
oder eilig Klapf dir deines
Herz, oder ist der Strick zu
viel gespannt ? – Komme
hier: es gibt jedes Mittel.«
Unübertroffen aber ist ein Text, in dem Anfang der neunziger Jahre der damalige Fremdenverkehrsdirektor des slowenischen Thermalbades Dolenjske Toplice, ein leider verstorbener Herr namens Pjut, seine Heimat pries. Herr S. aus Eichenau schickte mir die sentimental-poetischen Zeilen, in denen nicht nur die Schönheit Weißkrains (das ist die Gegend, in der die Thermen Dolenjske Toplices sich befinden) vor unserem geistigen Auge erscheint, sondern auch die Größe und Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache jenseits aller grammatischen Korrektheit und Verständlichkeit. Pjut schrieb: »Hier leben die Leute, denen sind die Woerter: das Has, die Unfreundlichkeit, Hochmut, Aufgeblasenheit, und vielleicht noch die
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