Wortstoffhof
house den sin.« *
* Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin.
Ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.
ZEITFENSTER
Zeitfenster, Zeitfenster…?
Richtig: In Folge 79 der Superman -Serie reißt der Großverbrecher Tempus die Macht an sich, indem er sich mittels Massensuggestion zum US-Präsidenten wählen lässt. Als Clark Kent (= Superman) einschreiten will, verbannt Tempus ihn »durch ein Zeitfenster« in die Unendlichkeit. Clarks Freundin Lois muss es allein mit Tempus aufnehmen. Mehr in Folge 80.
Nun sagte aber im Oktober 2003 der damalige Kanzler Schröder Folgendes: »Wenn wir die Agenda 2010 bis Weihnachten nicht durchbekommen, dann fürchte ich, dass sich auf lange Sicht kein Zeitfenster öffnet, in dem wir das schaffen.«
Ja, ja, Weihnachten, Weihnachten, immer muss alles »bis Weihnachten« geschehen, das ist jedes Jahr das Gleiche. Wieso hieß aber die Agenda »2010«, wenn sie bis Weihnachten 2003 »durch« sein musste? Warum überhaupt »durch«? Wodurch?
Durchs Zeitfenster?
Seltsames Wort: Zeitfenster…
Man muss sich die Zeit doch vorstellen als ein Nacheinander, als etwas unumkehrbar Dahinfließendes. Wie kann darin ein Fenster sein? Fenster gibt’s nur in Gebäuden und … Von dem Bostoner Physiker Lightman gibt es das wundervolle Buch Und immer wieder die Zeit , in dem sich der Autor neue Zeit-Welten vorstellt, eine zum Beispiel, in der die Zeit auf den Bergen langsamer vergeht als in den Tälern– die Menschen leben dort auf Gipfeln und meiden den Abstieg. Oder diese Welt hier: In ihr ist Zeit ein lokales Phänomen, in jeder Stadt gehen die Uhren anders. Alle Städte sind voneinander isoliert, keiner verlässt die Heimat – es könnte ja sein, dass er für einen Tag verreist ist, aber bei der Rückkehr seine Kinder älter sind als er. War es das, was Schröder meinte? Dass also die Zeit in unserem lieben Deutschland langsamer läuft als in der Welt und man durchs Zeitfenster Tempo reinbringen muss.
Bleibt die Frage: Warum eigentlich ist es so, dass »sich das Zeitfenster öffnet« – gibt es niemanden, der es bedient? Geht es von alleine auf und zu, klappernd im Weltenwind? Das nun nicht. Es war bloß in der Vorstellungswelt des Schröder so, dass alle paar Monate der Wähler ums Haus schleicht und alle Fenster schließt. (Wobei man im Übrigen ergänzend in Erinnerung bringen sollte, dass Schröders Nachfolgerin Merkel einmal auf die Frage, was sie mit »Deutschland« assoziiere, antwortete, es gebe kein anderes Land, das »so schöne und so dichte Fenster baut«. Was nichts anderes bedeutet als: Wenn hier ein Zeitfenster mal zu ist, dann ist es so zu wie in keinem anderen Land.) Nun sollten aber 2003 mal eine Weile keine Wahlen sein, der Bürger hockte reglos im Stübchen, da konnte man mal ein paar Reformen durchs Fenster schieben. Dachte Schröder. Nicht wahr?
So sah er uns. So sehen sie uns alle.
Nach der bayerischen Landtagswahl 2003 wurde dann in der Zeitung ein CSU-Spitzenmann zitiert: »Wir haben da ein ganz enges Zeitfenster, in dem alles passieren muss.« So ist’s in diesem Land: Die Politiker werkeln an den Fenstern herum, und die Wähler stehen an der Tür, starren in die Unendlichkeit und warten auf – Superman?
Vollständige eBook-Ausgabe der im Verlag Antje Kunstmann erschienenen Buchausgabe
Originalausgabe © Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2008
Umschlag: Michael Sowa
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-88897-621-6
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