Wuppertod
erfreut und stellte die
Reisetasche auf dem Pflaster ab. Schon kramte er in der Innentasche
seines Jacketts herum.
»Nein«,
sagte der Fremde. »Das ist nicht mehr nötig.« Die
Hände hatte er in den Taschen seines Mantels versenkt.
»Dem Nachwuchs gehört die Welt. Ihre Zeit ist
abgelaufen, Mann.« Jetzt zuckte die rechte Hand ins Freie.
Die Finger umklammerten einen metallisch glänzenden
Gegenstand. »Das war's, Heiger.« Er lachte
humorlos.
Heiger starrte auf den
Gegenstand in der Hand des Mannes. Ein Gegenstand, der in seinen
Filmen schon zigmal zu den Requisiten gehört hatte. Eine
Waffe, eine Pistole. Vermutlich eine Walther. P 38 oder sonst was.
Heiger glaubte zunächst an einen Scherz.
»Guter
Mann«, rief er und wich unwillkürlich einen Schritt
zurück, so als würde ihn das in Sicherheit
bringen.
»Es wird schnell
gehen, Heiger«, erwiderte sein Gegenüber. »Hier
ist kein Platz für Sie. Wuppertal braucht Sie nicht. Wir
können unsere Filme auch ohne Sie drehen.«
Der Zeigefinger des
Mannes legte sich im Zeitlupentempo um den Abzug der Pistole,
zeitgleich entsicherte der Daumen die Waffe. »Sie sind
sozusagen wuppertot.« Er lachte über seinen eigenen
Witz. Es war ein kaltes, emotionsloses
Lachen.
Wuppertod, so lautete
der Titel des Filmes, den er hier
drehte.
Tim Heiger wollte erst
zurückweichen, dann vorwärts stürmen, um seinem
Peiniger die Waffe zu entreißen. Doch nichts davon tat er. Wie
gelähmt stand er da, war zu keiner Bewegung
fähig.
Solche Szenarien hatte
er hundertmal in seinen Filmen gespielt. Doch diesmal war alles
anders. Das hier war die Wirklichkeit.
Ihm stockte der Atem.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die brünierte
Mündung der Waffe. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr
fassen.
Im nächsten
Augenblick sah er das Mündungsfeuer aufblitzen, es machte
einmal kurz »plopp«, so wie es verhalten knallt, wenn
jemand eine Waffe mit Schalldämpfer benutzt. Gleichzeitig
verspürte Heiger einen stechenden, brennenden Schmerz in
seiner Brust. Die Wucht der Kugel ließ ihn
zurücktaumeln. Ihm schwanden die Sinne, vor seinen Augen
tanzten Blitze. Erschrocken griff der Schauspieler sich an die
Brust, spürte etwas Warmes, Klebriges.
Blut. Sein eigenes
Blut, echtes Blut. Kein Filmblut.
Verdammt, war das
letzte Wort, das er dachte, bevor er zusammensackte und hart mit
dem Hinterkopf auf dem Bürgersteig aufschlug. Dann wurde es
dunkel um ihn herum.
Tim Heiger würde
nie wieder in einem Film mitwirken.
2. Kapitel
Und das war der
Sommerhit des letzten Jahres, das war Aisha von Outlandish. Sie
hören die ›Nachtschicht‹, schönen guten
Abend, ich bin Stefan Seiler.«
Stefan Seiler zog
einen Regler auf, setzte den Kopfhörer ab, lüftete das
Baseballcape und fuhr sich durch die kurzen, braunen Haare. Er
stand vom Drehstuhl hinter dem Mischpult auf - ihm blieben
dreieinhalb Minuten Zeit, ehe er den nächsten Titel starten
musste - und wanderte durch das gläserne Studio. In der
benachbarten Redaktion war nur noch ein einziger Arbeitsplatz
beleuchtet - der in der Nachrichtenredaktion. Dort saß heute
Heike Göbel, seine Freundin und Kollegin. Ein
Nachrichtenredakteur war ausgefallen und Heike hatte sich bereit
erklärt, den Nachtdienst in der Nachrichtenredaktion zu
übernehmen. Dass sie bei dieser Gelegenheit mit Stefan
zusammenarbeitete, war ein angenehmer Nebeneffekt, wie sie fand.
Heike saß mit dem Rücken zu ihm, doch jetzt sprang sie
von ihrem Schreibtisch auf, wandte sich zu ihm um und winkte
aufgeregt. Eilig huschte sie zum Studio, sah, dass die rote On
Air-Lampe über der Tür nicht brannte, und kam
hereingestürzt.
»Es gibt einen
Mord«, sprudelte es aus ihr heraus.
Er nahm sie in den Arm
und drückte sie an sich.
»Stefan -
bitte«, mahnte sie ihn.
»Schon
gut«, nickte er. »Dienst ist Dienst und Schnaps ist
Schnaps.«
»Das hier wird
dich wirklich interessieren!« Heike wedelte mit einem
weißen DIN-A4-Blatt herum. »Das kam gerade aus dem
Polizeipräsidium.«
»Erzähl«,
forderte Stefan sie auf und ließ sich auf dem Stuhl hinter
den Reglern nieder. Mit gespannter Miene musterte er sie. Heike war
etwas kleiner als er, von zierlicher Statur, trug die blonden Haare
modisch kurz, geradezu keck. Ihre großen, blauen Augen
funkelten aufgeregt, und jede Nachtschicht-Müdigkeit war aus
ihrem gleichmäßig geschnittenen Gesicht wie weggewischt.
Ihre Wangen glühten rot vor Aufregung, daran konnte auch das
dezente Make-up nichts
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