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Analyse der Kleidung auf alten Gemälden wirklich faszinierte. Die Französische Revolution interessierte mich weitaus mehr wegen ihrer Auswirkungen auf die Mode denn auf die Aristokratie Frankreichs, auch wenn beide untrennbar miteinander verwoben waren. Jede meiner Geschichtsklausuren mit der Möglichkeit einer Themenwahl hatten sich so oder so mit Mode befasst.
Nachdem mein Hin-und-wieder-Lover nach zwei Jahren endgültig abserviert war, hatte ich in Anlehnung an eine Seite in Cassies Lebensbuch meinen Umzug beschlossen und mich in Portland niedergelassen. Von Eugene mit seinem verkniffenen Tofu-Gemampfe und seiner Knüpfbatik hatte ich die Nase voll, und für andere zu schuften, das reichte mir auch allmählich. Die Änderungsschneiderei hatte schon auf Grund des gewaltigen Arbeitsanfalls Aufträge ablehnen müssen; daher ging ich mit einiger Sicherheit davon aus, dass es in Portland, wo die Leute bei ihren Klamotten tatsächlich noch Wert auf Passform legten, genug zu tun für mich gab. Um meinen Laden von anderen abzuheben, wollte ich für Textilien und andere Näharbeiten einen Abhol- und Bringedienst anbieten, was mich gleichzeitig von der Befürchtung befreite, ein Kunde könne auf meiner Treppe ausrutschen und sich langlegen und mich deswegen vor den Kadi zerren.
Gott sei Dank fahre ich gerne Auto. Seit ich in Portland wohne, hat mein Schlitten schon zehntausend Meilen mehr auf dem Tacho.
In den ersten paar Monaten kam ich mit Ach und Krach hin, wobei meine gesamten Ersparnisse draufgingen: das Auto abstottern, Sprit, Versicherung, und dann jene lästige kleine Sollsumme auf dem Kreditkartenkonto, die gleich einem Virus an meinen Finanzen fraß und nie so richtig verschwand. In den letzten Wochen allerdings hatte ich, was die Näherei betraf, den kritischen Punkt überschritten, und allmählich gab sich die Kundschaft die Klinke in die Hand. Zwar verdiente ich mehr als seinerzeit in der Änderungsschneiderei, war dafür allerdings nicht sozialversichert und besaß keinerlei Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da verfiel man durchaus ins Grübeln, welche Anschaffung wichtiger war: Krankenversicherung oder Säumer.
Mein Atelier lag unterm Dach des 1920 errichteten, stuckverzierten Häuschens, das ich gemeinsam mit Cassie bewohnte. Da ich zwei Zimmer beanspruchte und sie nur eins, bastelte ich ihr alle vier, fünf Wochen ein neues Bauchtanzkostüm oder irgendwas für ihre Bude, eine Steppdecke etwa oder Sitzkissen. Diesen Monat sind Gardinen angesagt, und zwar aus einem hauchdünnen orientalischen Stoff, den sie bei einem Bauchtanz-Festival erstanden hatte. Ich würde ihr Glöckchen unten dranhängen, nur so aus Jux. Wenn der Wind über die Vorhänge streicht, fangen die Dinger ganz sacht an zu bimmeln. Cassie steht auf so was.
Ich guckte auf die Uhr und verzog das Gesicht. Schon sieben! In einer halben Stunde sollte ich eigentlich im „San Juan’s Mexican Restaurant“ aufkreuzen, wo ich mit Cassie, Louise und Scott zum Dinner verabredet war, denn es gab etwas zu feiern: Die psychologische Notfall-Hotline hatte Louise endlich von der Nachtschicht befreit und in die Tagesschicht versetzt. Sie arbeitete dort seit zwei Jahren, und die bescheuerten Schlafzeiten sowie der damit verbundene Wegfall jeden gesellschaftlichen Lebens hatten sie an den Rand einer klinischen Depression getrieben. Louise wusste, wovon sie redete; als Psychologin schlug sie sich schließlich mit seelisch Angeknacksten ganze Nächte um die Ohren.
Ich streifte das Jäckchen, das ich gerade in der Mache hatte, über einen Kleiderbügel, hängte es neben die anderen Sachen auf einen Ständer und musterte das gesamte Arrangement mit kritischem Blick. In dem ehrlichen Bemühen, die Brautjungfern in auch nach der Hochzeit noch tragbare Garderobe zu kleiden, hatte die Zukünftige für ihre Freundinnen lauter Kostümchen à la Jackie Onassis in neutralem Bleu ausgesucht, gottlob also einigermaßen Geschmack bewiesen, und auf abscheuliche Schleifen am Po oder auf Taft und ärmellose Kleider, die schlaffe Oberarme enthüllten – verzichtet. An sich war die Idee nicht schlecht. Nur befürchtete ich, dass die Jungfern, wenn sie in einer Reihe standen, eher wie ein Trüppchen Stewardessen aus den sechziger Jahren wirken könnten. Fehlte nur noch die Messingnadel am Revers sowie das runde Hütchen, und die Festgesellschaft hätte womöglich glatt angenommen, die Mädels müssten während des Hochzeitsmarsches mit Erdnusspäckchen
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