Xenozid
faßte er einen Entschluß und sagte es: »Wäre sie geblieben, wäre sie vielleicht deine Mutter geworden.«
Qing-jao war sowohl gespannt als auch verängstigt, daß Vater von solchen Dingen sprach. Er sprach sonst nie von seiner Vergangenheit. Das Eingeständnis, einmal eine andere Frau neben seiner Gattin geliebt zu haben, die Qing-jao gebar, kam so unerwartet, daß Qing-jao nicht wußte, was sie sagen sollte.
»Sie wurde an einen sehr fernen Ort geschickt. Es ist jetzt fünfunddreißig Jahre her. Das ist ein Großteil meines Lebens. Doch sie ist gerade erst angekommen, vor einem Jahr. Und nun hat sie mir eine Nachricht geschickt und verraten, wieso ihr Vater weggeschickt wurde. Für sie liegt unsere Trennung nur ein Jahr zurück. Für sie bin ich noch immer…«
»Ihr Geliebter«, sagte Wang-mu.
Diese Impertinenz! dachte Qing-jao. Doch Vater nickte nur. Dann wandte er sich seinem Display zu und blätterte die Seiten durch. »Ihr Vater war auf eine genetische Abweichung in der wichtigsten erdgeborenen Rasse auf Weg gestoßen.«
»Reis?« fragte Wang-mu.
Qing-jao lachte. »Nein, Wang-mu. Wir sind die wichtigste erdgeborene Spezies auf dieser Welt.«
Wang-mu schaute bestürzt drein. Qing-jao tätschelte ihre Schulter. Es hatte so kommen müssen – Vater hatte sie zu sehr ermutigt, hatte sie zu der Annahme geführt, Dinge zu verstehen, die weit jenseits ihrer Ausbildung lagen. Wang-mu brauchte diese sanften Dämpfer dann und wann, damit sie ihre Hoffnungen nicht zu hoch setzte. Das Mädchen durfte sich nicht dem Traum hingeben, intellektuell gleichwertig mit einem Gottberührten zu sein, oder ihr Leben würde mit Enttäuschung anstatt Zufriedenheit erfüllt sein.
»Er entdeckte einen beständigen, vererbbaren genetischen Unterschied in einigen Menschen auf Weg, doch als er ihn meldete, wurde er fast augenblicklich versetzt. Ihm wurde sagt, Menschen fielen nicht unter seine Forschungsbefugnis.«
»Hat sie dir das gesagt, bevor sie ging?« fragte Qing-jao.
»Keikoa? Sie wußte es nicht. Sie war sehr jung, noch in einem Alter, in dem die meisten Eltern ihre Kinder nicht mit den Angelegenheiten der Erwachsenen belasten. In deinem Alter.«
Die Implikationen dieser Aussage schickten einen weiteren Schauder der Furcht durch Qing-jao. Ihr Vater hatte eine Frau geliebt, die im gleichen Alter wie Qing-jao war; also war Qing-jao in den Augen ihres Vaters in dem Alter, in dem man sie in eine Ehe geben konnte. Du kannst mich nicht ins Haus eines anderen Mannes schicken, rief sie im Geiste; doch ein Teil von ihr war auch begierig darauf, die Geheimnisse zwischen einem Mann und einer Frau zu erfahren. Beide Gefühle würden keinen Einfluß auf sie haben; sie würde ihrem Vater gegenüber ihre Pflicht erfüllen, nicht mehr und nicht weniger.
»Doch ihr Vater hat es ihr auf dem Flug erzählt, denn die ganze Sache hat ihn sehr aufgebracht, wie du dir vorstellen kannst – sein Leben wurde einfach so unterbrochen. Doch als sie vor einem Jahr auf Ugarit eintrafen, stürzte er sich in seine Arbeit und sie sich in ihre Ausbildung, und sie versuchten, nicht daran zu denken. Bis vor ein paar Tagen, als ihr Vater auf einen alten Bericht über ein Medizinerteam in den frühesten Tagen von Weg stieß, das auch plötzlich verbannt worden war. Er reimte sich die Dinge zusammen und vertraute sie Keikoa an, und gegen seinen Rat schickte sie mir die Nachricht, die ich heute erhielt.«
Vater markierte einen Textabschnitt auf dem Display, und Qing-jao las ihn. »Das frühere Team studierte das unbewußt-zwanghafte Verhalten?« fragte sie.
»Nein, Qing-jao. Sie studierten ein Verhalten, das wie das UZV aussah, doch es konnte sich nicht um dieses Syndrom handeln, da die genetischen Bedingungen für das UZV nicht vorhanden waren und die Befallenen nicht auf UZV-wirksame Medikamente reagierten.«
Qing-jao versuchte sich daran zu erinnern, was sie über UZV wußte. Das Syndrom veranlaßte Menschen, sich unabsichtlich wie jene zu verhalten, zu denen die Götter sprachen. Ihr fiel ein, daß man auch ihr solche Medikamente verabreicht hatte, und zwar in der Zeit zwischen der Entdeckung ihres Reinigungszwangs und ihrer Prüfung. Man hatte sehen wollen, ob der Zwang nachließ. »Sie studierten die Gottberührten«, sagte sie. »Sie wollten eine biologische Ursache für unsere Reinigungsriten finden.« Die Vorstellung war so beleidigend, daß sie die Worte kaum über die Lippen brachte.
»Ja«, sagte Vater. »Und man hat sie
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