Xenozid
genetische Unterschied in uns – das ist die Verkleidung, die die Götter ihren Stimmen in unserem Leben gegeben haben. Damit die Menschen, die nicht von Weg stammen, weiterhin ungläubig sein können. Das hast du mir selbst gesagt, erst vor ein paar Monaten – die Götter handeln nur unter Tarnung.«
Vater starrte sie keuchend an.
»Die Götter sprechen wirklich zu uns. Und selbst, wenn sie andere Menschen glauben machen, sie hätten uns das angetan, haben diese damit nur den Willen der Götter erfüllt und uns das Dasein geschenkt.«
Vater schloß die Augen und zwängte die letzten Tränen zwischen den Lidern hindurch.
»Der Kongreß hat das Mandat des Himmels, Vater«, sagte Qing-jao. »Warum sollten die Götter ihn dann nicht veranlassen, eine Gruppe von Menschen mit schärferem Verstand zu schaffen – die gleichzeitig die Stimmen der Götter hört? Vater, wie kann dein Verstand so bewölkt sein, daß du nicht die Hand der Götter in dieser Sache siehst?«
Vater schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Deine Worte klingen nach allem, woran ich mein ganzes Leben geglaubt habe, aber…«
»Aber eine Frau, die du vor vielen Jahren einmal geliebt hast, hat dir etwas anderes gesagt, und du glaubst ihr, weil du dich an deine Liebe für sie erinnerst. Aber, Vater, sie ist keine von uns, sie hat die Stimme der Götter nicht gehört, sie hat nicht…«
Qing-jao konnte nicht fortfahren, denn Vater umarmte sie. »Du hast recht«, sagte er, »du hast recht, mögen die Götter mir vergeben, ich muß mich waschen, ich bin so unrein, ich muß…«
Er erhob sich schwankend von seinem Stuhl, taumelte von seiner weinenden Tochter fort. Doch ohne Rücksicht auf Anstand, aus einem verrückten Grund, der nur ihr bekannt war, trat Wang-mu ihm in den Weg und hielt ihn auf. »Nein! Geht nicht!«
»Wie kannst du es wagen, einen Gottberührten aufzuhalten, der sich reinigen muß?« brüllte Vater; und dann tat er, zu Qing-jaos Überraschung, was sie ihn noch nie hatte tun sehen – er schlug einen anderen Menschen, er schlug Wang-mu, eine hilflose Dienerin, und sein Schlag hatte so viel Kraft, daß sie gegen die Wand prallte und dann zu Boden rutschte.
Wang-mu schüttelte den Kopf und deutete dann auf das Computer-Display. »Seht doch, Herr, ich bitte Euch! Herrin, zeigt es ihm!«
Qing-jao drehte sich um, und ihr Vater ebenfalls. Die Worte waren von dem Display verschwunden. Statt dessen befand sich dort das Bild eines Mannes. Eines alten Mannes mit einem Bart und der traditionellen Kopfbedeckung; Qing-jao erkannte ihn sofort, konnte sich aber nicht erinnern, wer er war.
»Han Fei-tzu!« flüsterte Vater. »Mein Vorfahre-des-Herzens!«
Dann fiel es Qing-jao wieder ein: Das Gesicht über dem Display entsprach der allgemeinen künstlerischen Darstellung des alten Han Fei-tzu, nach dem Vater benannt war.
»Kind meines Namens«, sagte das Gesicht im Computer, »ich will dir die Geschichte der Jade des Meisters Ho erzählen.«
»Ich kenne die Geschichte«, sagte Vater.
»Wenn du sie verstanden hättest, müßte ich sie dir nicht erzählen.«
Qing-jao versuchte, dem, was sie sah, Sinn zu entnehmen. Für ein visuelles Programm mit so perfekten Details, wie der über dem Terminal schwebende Kopf sie aufwies, wäre der Großteil der Kapazität des Hauscomputers erforderlich – und in ihrer Bibliothek gab es kein solches Programm. Ihr fielen zwei andere Möglichkeiten ein. Die eine wäre ein Wunder: Die Götter mußten einen anderen Weg gefunden haben, um mit ihnen zu sprechen, indem sie ihnen Vaters Vorfahre-des-Herzens erschienen ließen. Die andere war kaum weniger ehrfurchtsgebietend: Demosthenes' Geheimprogramm mußte so mächtig sein, daß es ihr Gespräch in diesem Raum über das Terminal abhören konnte. Nachdem es festgestellt hatte, daß sie eine gefährliche Schlußfolgerung gezogen hatten, mußte es den Hauscomputer übernommen und dieses Bild produziert haben. Auf jeden Fall mußte Qing-jao zuhören und sich dabei die Frage stellen: Was meinen die Götter damit?
»Einmal fand ein Mann aus Qu namens Meister Ho im Qu-Gebirge ein Stück Jade, brachte es zum Hof und zeigte es König Li.« Der Kopf des alten Han Fei-tzu blickte von Vater zu Qing-jao und von Qing-jao zu Wang-mu; war dieses Programm so gut, daß es mit jedem von ihnen Blickkontakt herstellte, um seine Macht über sie zu gewährleisten? Qing-jao sah, daß Wang-mu den Kopf senkte, als der Blick der Erscheinung auf ihr ruhte. Und Vater? Er hatte ihr den
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