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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Card Orson Scott
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geheimhalten mußte. Jeder wußte, daß das Händewaschen eins der ersten Zeichen dafür war, daß die Götter zu einem Kind sprachen, und die meisten Eltern auf der ganzen Welt des Weges achteten bei ihren Kindern hoffnungsvoll auf Anzeichen übertriebener Besorgnis um Reinlichkeit. Doch diese Menschen verstanden nicht, welch schreckliche Selbsterkenntnis zu den Waschungen führte: Die erste Botschaft der Götter galt der unaussprechlichen Schmutzigkeit derjenigen, zu denen sie sprachen. Qing-jao verbarg, daß sie sich die Hände wusch, nicht, weil sie sich schämte, daß die Götter zu ihr sprachen, sondern weil sie überzeugt war, daß die anderen sie alle verachten würden, wüßten sie, wie schmutzig sie war.
    Die Götter verschworen sich mit ihr in ihrer Verstohlenheit. Sie gestatteten ihr, das wilde Schrubben ihrer Handflächen zu verbergen. Das bedeutete, wenn ihre Hände arg verletzt waren, konnte sie sie zu Fäusten zusammenballen oder in die Falten ihre Kleides stecken, wenn sie ging, oder sie sehr verstohlen in den Schoß legen, wenn sie saß, und niemand bemerkte es. Die anderen sahen nur ein sehr gut erzogenes kleines Mädchen.
    Hätte ihre Mutter noch gelebt, wäre Qing-jaos Geheimnis viel früher entdeckt worden. Doch so dauerte es Monate, bis es einer Dienerin auffiel. Die fette alte Mu-pao bemerkte zufällig einen Blutfleck auf dem kleinen Tischtuch von Qing-jaos Frühstückstisch. Mu-pao wußte sofort, was das zu bedeuten hatte – waren blutige Hände nicht ein frühes Zeichen für die Aufmerksamkeit der Götter? Deshalb zwangen viele ehrgeizige Eltern ein besonders vielversprechendes Kind, sich ständig zu waschen. Auf der ganzen Welt des Weges galt demonstratives Händewaschen als ›Einladung an die Götter‹.
    Mu-pao ging sofort zu Qing-jaos Vater, dem edlen Han Fei-tzu, angeblich der größte all jener, zu denen die Götter sprachen, und einer der wenigen, die in den Augen der Götter so mächtig waren, daß sie sich mit Framlingen – Außenweltlern – treffen konnten, ohne auch nur eine Andeutung über die Stimme der Götter in ihnen fallen zu lassen und somit das göttliche Geheimnis der Welt Weg zu bewahren. Er würde dankbar sein, die Nachricht zu vernehmen, und Mu-pao würde beschenkt werden, weil sie die erste gewesen war, die die Götter in Qing-jao gesehen hatte.
    Innerhalb von einer Stunde hatte Han Fei-tzu seine geliebte kleine Qing-jao herausgeputzt, und gemeinsam machten sie sich in einer Sänfte auf zum Tempel in Rockfall. Qing-jao mochte es nicht, in einer Sänfte zu sitzen – ihr taten die Männer leid, die ihr Gewicht tragen mußten. »Sie leiden nicht«, sagte Vater zu ihr, als sie diese Vorstellung zum ersten Mal erwähnte. »Sie fühlen sich überaus geehrt. Es ist eine der Möglichkeiten, wie das Volk den Göttern Ehre erweisen kann – wenn ein Gottberührter zu einem Tempel geht, tut er es auf den Schultern des Volkes von Weg.«
    »Aber ich werde jeden Tag größer«, erwiderte Qing-jao.
    »Wenn du zu groß bist, wirst du entweder zu Fuß gehen oder in deiner eigenen Sänfte«, sagte Vater. Er mußte ihr nicht erklären, daß sie nur einen eigenen Stuhl bekommen würde, falls sie zu einer Gottberührten heranwuchs. »Und wir versuchen, unsere Bescheidenheit zu zeigen, indem wir sehr dünn und leicht bleiben, damit wir den Leuten keine schwere Last sind.« Das war natürlich ein Scherz, da Vaters Bauch zwar nicht gewaltig, aber doch recht ansehnlich war. Doch die Lektion hinter dem Scherz entsprach der Wahrheit: Die Gottberührten durften dem gewöhnlichen Volk von Weg niemals zur Last fallen. Das Volk mußte immer dankbar sein und niemals wütend, daß die Götter von allen Welten ausgerechnet die ihre erwählt hatten, um ihre Stimmen hören zu lassen.
    Doch nun war Qing-jao eher über die vor ihr liegende Prüfung besorgt. Sie wußte, daß sie zu einem Test geführt wurde. »Vielen Kindern wird beigebracht, so zu tun, als sprächen die Götter zu ihnen«, erklärte Vater. »Wir müssen herausfinden, ob dich die Götter wirklich auserwählt haben.«
    »Ich will nicht, daß mich die Götter auserwählen«, sagte Qing-jao.
    »Und während der Prüfung wirst du es noch viel weniger wollen«, sagte Vater. Seine Stimme war von Mitleid erfüllt. Das machte Qing-jao noch mehr Angst. »Das gewöhnliche Volk sieht nur unsere Macht und Privilegien und beneidet uns. Die Menschen wissen nicht, wie sehr die Gottberührten auch leiden. Wenn die Götter zu dir sprechen, meine

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