Xenozid
es versuchen.« Ich werde auch versagen, doch das wird niemanden überraschen, am wenigsten die Götter, die meine Unwürdigkeit kennen.
»Alle Archivdateien stehen für deine Suche offen, wenn du deinen Namen sagst und das Paßwort eingibt. Laß es mich wissen, wenn du Hilfe brauchst.«
Sie verließ Vaters Raum mit Würde und zwang sich, langsam die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufzugehen. Erst nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, warf sie sich auf die Knie und kroch über den Boden. Sie verfolgte die Linien der Holzmaserung, bis sie kaum noch sehen konnte. Ihre Unwürdigkeit war so groß, daß sie sich selbst danach nicht ganz sauber fühlte; sie ging ins Badezimmer und schrubbte sich die Hände ab, bis sie wußte, daß die Götter zufrieden waren. Zweimal wollten die Diener sie stören, indem sie Mahlzeiten oder Nachrichten brachten, doch als sie sahen, daß die Götter zu ihr sprachen, verbeugten sie sich und entfernten sich leise.
Nicht das Waschen ihrer Hände reinigte sie schließlich. Erst in dem Augenblick, da sie den letzten Zweifel der Unsicherheit aus ihrem Herzen vertrieb, wurde sie sauber. Der Sternenwege-Kongreß hatte das Mandat des Himmels. Sie mußte sich von allen Zweifeln befreien. Was auch immer er mit der Lusitania-Flotte vorhatte, es war sicherlich der Wille der Götter, daß es geschah. Daher war es ihre Pflicht, dem Kongreß bei der Ausführung zu helfen. Und wenn sie tatsächlich dem Willen der Götter folgte, würde es ihr einen Weg eröffnen, das Problem zu lösen, das man ihr gestellt hatte. Jedesmal, wenn sie etwas anderes dachte, jedesmal, wenn ihr Demosthenes' Worte wieder in den Sinn kamen, mußte sie sie ausmerzen, indem sie sich daran erinnerte, daß sie den Herrschern gehorchte, die das Mandat des Himmels hatten.
Als ihr Verstand sich wieder beruhigt hatte, waren ihre Handflächen roh und aufgesprungen und blutig. So erhebt sich mein Verständnis von der Wahrheit, sagte sie sich. Wenn ich genug von meiner Sterblichkeit abwasche, wird die Wahrheit der Götter nach oben streben, dem Licht entgegen.
Endlich war sie sauber. Es war schon spät, und ihre Augen waren müde. Dennoch setzte sie sich an ihr Terminal und begann mit der Arbeit. »Zeige mir die Zusammenfassung aller Nachforschungen, die bislang über das Verschwinden der Lusitania-Flotte betrieben wurden«, sagte sie, »und fange mit den neuesten an.« Fast augenblicklich erschienen in der Luft über ihrem Terminal Buchstaben; Seite um Seite reihten sie sich auf, wie Soldaten, die an die Front marschierten. Sie las eine Seite, rollte sie dann nach oben und holte damit die nachfolgende heran. Sieben Stunden las sie, bis sie nicht mehr lesen konnte; dann schlief sie vor dem Terminal ein.
Jane beobachtet alles. Sie kann gleichzeitig eine Million Aufgaben erledigen und tausend Dinge tun. Diese beiden Fähigkeiten sind nicht unendlich, aber um so vieles größer als unsere armselige Fähigkeit, an eine Sache zu denken, während wir eine andere erledigen, daß man sie fast als unendlich bezeichnen könnte. Sie hat jedoch eine Sinnesbeschränkung, die wir nicht haben; oder vielmehr, wir sind ihre größte Beschränkung. Sie sieht und weiß nichts, was nicht vorher als Daten in einen Computer eingegeben wurde, der mit dem großen Netzwerk zwischen den Welten verbunden ist.
Das ist eine geringere Beschränkung, als man glauben könnte. Sie hat fast unmittelbaren Zugang zu den unverarbeiteten Dateneingaben eines jeden Sternenschiffs und Satelliten, eines jeden Verkehrskontrollsystems und fast jeder elektronisch überwachten Spionagevorrichtung im menschlichen Universum. Aber das bedeutet, daß sie fast nie Zeuge des Streits eines Liebespaars wird oder von Bettgeschichten, Meinungsverschiedenheiten im Klassenzimmer, Konversationen bei den Mahlzeiten oder bitterer, einsam vergossener Tränen. Sie kennt nur den Aspekt unseres Lebens, den wir als digitale Information verarbeiten.
Wenn man Jane nach der genauen Zahl der Menschen auf den besiedelten Welten fragte, würde sie schnell eine Zahl nennen, die auf Volkszählungen basiert, kombiniert mit den Geburten- und Sterbestatistiken all unserer Bevölkerungsgruppen. In den meisten Fällen könnte sie diesen Zahlen Namen zuordnen, wenngleich kein Mensch lange genug leben würde, um diese Liste zu lesen. Und wenn man einen Namen nimmt, der einem gerade zufällig einfällt – Han Qing-jao zum Beispiel –, und Jane fragt: »Wer ist diese Person?«, dann kann sie einem
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