Xperten - Der Paradoppelgänger
usw.
Diese Idee überrascht Marcus: »Wo siehst du Schwächen bei uns?«
Maria antwortet nach kurzem Überlegen: »Es geht Stephan mindestens in einem Punkt so wie mir. Obwohl wir medizinisch ausgesprochen gut hören - du erinnerst dich, dass ich uns beide testen ließ -, vertrauen wir so auf unsere spezielle Sehbegabung, dass wir oft beim Zuhören unaufmerksam sind. Wenn Stephan oder ich etwas über das HENCI 6 hören, dann geht das manchmal ganz an uns vorbei. Umgekehrt verwendest du deine telekinetischen Fähigkeiten so oft, dass du mit deinen Händen und Fingern deutlich ungeschickter geworden bist.«
Marcus denkt verblüfft nach: »Ja, du hast wirklich Recht, aber mir ist das bisher nie aufgefallen!«
»Was, glaubst du, bedeutet die Begabung Lenas für uns?«, fragt Maria.
Marcus überlegt nur kurz: »Erstens müssen wir feststellen, ob sie wirklich eine Späherin ist ... aber da bin ich mir jetzt fast sicher. Zweitens, wir werden durch ihre Fähigkeit wohl weitere Para-Begabte finden. Und drittens wird uns das vielleicht helfen, ein Stückchen weiterzukommen bei der Frage, warum gerade bestimmte Menschen Para-Fähigkeiten haben. Ich werde jedenfalls morgen beginnen, Barry zu beobachten bzw. beobachten zu lassen. Wir müssen herausfinden, was er kann, ob er ein verlässlicher und angenehmer Partner ist, und ihn gegebenenfalls einladen mit uns zusammenzuarbeiten. Vielleicht gelingt es uns doch noch, eine substanzielle Gruppe von Para-Begabungen zusammenzubekommen. Wir wären dann sicherer und könnten gemeinsam auch mehr erreichen. Und indem wir die einzelnen Lebensgeschichten verfolgen, finden wir vielleicht doch einen Grund, warum von so vielen Menschen nur so wenige deutlich para-begabt sind.«
6 Das HENCI (»Hinc Et Nunc Communication Interface«) ist eine Weiterentwicklung der Kombination Handy, Computer und Netzzugang. Durch den individualisierten und mit den Methoden der künstlichen Intelligenz gefilterten Zugriff auf Informationen im NINT (»New Internet«) sind Radio und telefonische Auskunftsdienste seit Jahren obsolet.
Maria nickt nachdenklich. Ja, sie haben schon viel darüber diskutiert, dass es schön wäre, eine größere Gruppe von Para-Begabungen zusammenzuführen. Sie wären dann besser in der Lage, bei kritischen Situationen helfend einzugreifen, als ihnen dies in der Vergangenheit möglich war. Und sie könnten sich besser verteidigen, würden sie einmal auf Grund ihrer Begabungen verfolgt. Andererseits scheinen sich alle Menschen mit besonderen Begabungen möglichst bedeckt zu halten, aus Angst, dass sonst ihr Leben oder zumindest Lebensstil gefährdet ist. 7 Wie würde es gelingen, solche durchaus verständlichen Urängste zu beseitigen, ja würde es gelingen, ehemalige »Gegner« aus der PPU zu finden und für sich zu gewinnen? Marcus kommt ihr ungerechtfertigt optimistisch vor, aber sie weiß, dass es nur dann eine Lösung geben kann, wenn jemand daran glaubt. Also erhebt sie keine Einwände.
Der Nachmittag verspricht einer jener zu werden, die man nur in Neuseeland so erleben kann und nie mehr vergisst. Die Bucht mit dem feinen Sand, umgeben von Felsklippen, die dort, wo das Meerwasser nicht oft hinkommt, dicht mit Moos, Farnen und Büschen bewachsen sind, ist so schön wie jede Südseeszene. Die um das Jahresende rot blühenden Pohukaka Bäume auf dem hellen Strand vor blauem Himmel sind Maria schon immer als ein Weihnachtsgeschenk Neuseelands an alle dort lebenden Menschen vorgekommen. Sie kennt kaum einen überwältigenderen Anblick. Und heute mit Marcus, den sie noch immer liebt, der sehr jugendlich aussieht und der (eitel!) nicht gerne daran erinnert wird, dass er bald 30 wird, die beiden hübschen und ungewöhnlichen Kinder, die so harmonisch miteinander auskommen, im Hintergrund das Haus und Grundstück, das sie so lieben ... Sie muss doch einfach glücklich sein. So ist es auch irgendwie und doch entkommt sie heute wieder nicht manchem Schatten: Kann das immer so bleiben? Wird man sie nicht als Para-Begabte entdecken und verfolgen wie seinerzeit in Europa? Ja, zugegeben, damals hatten sie mit der Gründung ihrer Schule für Para-Psychologie wohl sehr offensiv auf sich aufmerksam gemacht. Aber taten sie das denn jetzt mit ihrem Bergungs- und Rettungsunternehmen »SR-Inc.« 8 in Auckland nicht auch, weil sie bei den schwierigsten Einsätzen immer wieder erfolgreicher waren, als es möglich schien? Aber waren sie nicht moralisch verpflichtet, ihre Fähigkeiten irgendwie
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