You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
beginnen und ihn die amerikanische Justiz mit ihren falschen Vorwürfen nicht belangen könnte. Nach dieser Scharade wäre ich bereit, meine Staatsbürgerschaft aufzugeben und Michael samt seiner Familie an einen Ort zu bringen, wo man ihm nichts anhaben kann. Es gibt jemanden, der uns unterstützt, einen guten Freund. Wir haben einen Piloten. Alles ist vorbereitet. Auf keinen Fall würde mein Bruder, ein unschuldiger Mann, wegen dieser Sache ins Gefängnis gehen. Das würde er nicht überleben, und ich kann deshalb nicht einfach dasitzen und den Gedanken an diese Möglichkeit hinnehmen.
Diesen „Plan B“ haben wir ohne sein Wissen arrangiert, aber da ich ihm sagte, er solle sich keine Sorgen machen, ahnt er wahrscheinlich etwas, will es aber offenbar nicht genauer wissen. Muss er auch nicht. Noch nicht.
Mit mir selbst habe ich abgemacht, dass ich dann, wenn Tom Mesereau andeutet, dass sich die Waagschalen der Justiz zu unseren Ungunsten neigen, alles vorbereite und Michael zum Flughafen im San Fernando Valley vor den Toren von L.A. bringe. Wir werden ihn nachts, unter einer Decke versteckt, aus Neverland herausschmuggeln. Oder etwas in dieser Art unternehmen. In der Zwischenzeit versuche ich, Ruhe zu bewahren, denn bisher hat Tom nichts weiter gesagt als: „Ja, das war ein guter Tag für uns“, auch wenn die Zeugenaussagen allesamt schrecklich klangen. Er kennt sich mit den Nuancen aus, die für die Beweisführung von Bedeutung sind, und er weiß, wann die Staatsanwaltschaft mit den schweren Geschützen danebenschießt. Wir haben schnell gelernt, den Prozess nicht nach der Medienberichterstattung zu beurteilen. Also warte ich ab, aber dieses Vertrauen kostet mich meine ganze Kraft und bringt mich dazu, Botschaften auf Badezimmerspiegel zu schreiben.
Als ich später ins Auto steige und wie mit eingeschaltetem Autopiloten nach Süden fahre, frage ich mich, woher Michael die Kraft und den Glauben nimmt, um all das durchzustehen. Ich spüre, dass enorm viel Stolz in ihm steckt, und das zu einer Zeit, in der man sich aufgrund der unausgewogenen Presseberichte darauf eingeschossen hat, ihn für schuldig zu halten, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Man suhlt sich im angenehmen Kitzel des vermuteten Verbrechens, während entlastende Punkte allenfalls in Fußnoten vermerkt werden. Wieder kommt mir in den Sinn, was Michael 2003 einmal zu mir sagte, als der ganze Irrsinn begann: „Lügen sind gute Sprinter, aber die Wahrheit ist ein Marathonläufer … und die Wahrheit wird gewinnen.“ Ein wahres Wort.
Ich versuche mir vorzustellen, dass er als freier Mann aus dem Gericht kommt. Wie eine Szene aus einem Film. Wenn diese ganze Geschichte vorüber ist, dann werde ich alles tun, um seinen guten Namen in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Es wird nichts mehr geben, was man ihm sonst noch vorwerfen kann. Und ich werde ihn verteidigen, weil ich weiß, was ihn antreibt – ich kenne sein Herz, seinen Geist, seine Seele, seinen Ehrgeiz. Ich kenne den Jungen in dem Superstar-Kostüm. Ich kenne den Bruder aus der Jackson Street 2300. Seit unserer Kindheit sind wir eng miteinander verbunden, haben alles gemeinsam erlebt: den Traum, die Jackson 5, den Ruhm, die Trennung, die Streitereien, die Sorgen, die Skandale, den wahnsinnigen Druck. Er hat vor mir geweint. Ich habe ihn angeschrien. Er hat sich geweigert, mich zu sehen. Er hat mich angefleht, bei ihm zu bleiben. Wir wissen um unsere gegenseitige Loyalität und auch um den unbeabsichtigten Verrat. Und wegen all der Dinge, die dahinterstecken, wegen unseres brüderlichen Zusammenhalts, kenne ich seinen Charakter und seinen Verstand so gut, wie man es als Blutsverwandter nur kann.
Eines Tages, sage ich mir, wenn 2005 hinter uns liegt, dann werden ihn die Leute in Ruhe lassen und versuchen, ihn zu verstehen, anstatt über ihn zu richten. Sie werden ihn so sanft und mitfühlend behandeln, wie er selbst anderen gegenüber ist. Sie werden ihre vorgefertigten Meinungen vergessen und ihn nicht nur durch seine Musik wahrnehmen, sondern als Menschen sehen: unperfekt, komplex, fehlbar. Jemand, der ganz anders ist als das Image, das er besitzt.
Eines Tages wird die Wahrheit den Marathon gewinnen.
M ichaelstand neben mir. Ich war ungefähr acht und er gerade mal vier Jahre alt, und er stützte die Ellenbogen auf das Fensterbrett und das Kinn in die Hände. Wir beide sahen im Dunkeln aus unserem Zimmerfenster ehrfürchtig zu, wie an Heiligabend der Schnee fiel. Die Flocken
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