HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
1. KAPITEL
In weniger als einer Stunde wird es ein Gewitter geben, dachte Shanna, als sie aus dem Fenster blickte. In der Ferne zuckte bereits ein greller Blitz über den schwarzen Himmel. Sie hasste diese Gewitter im Frühsommer … wenn das Grollen des Donners durchs Haus hallte, die Kristallprismen der Lüster klirrten und die Fensterläden klapperten. Sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn ein Blitzstrahl bis in den letzten Winkel der Zimmer vordrang, als wolle er nach ihr greifen.
Heute war es den ganzen Tag über schon schwül gewesen. Von den Reisfeldern und den dahinter liegenden Sümpfen, wohin sich Shanna noch nicht vorgewagt hatte, war die feuchtwarme Luft herübergezogen und hatte ihre ganze Energie aufgezehrt.
Allerdings besaß sie davon zurzeit sehr wenig. Kurz nachdem sie vom Tod des geliebten Vaters erfahren hatte, war sie völlig zusammengebrochen. Erschreckend langsam war sie wieder zu Kräften gekommen. Erst jetzt, nach mehreren Woche Ruhe, wich die Schwäche aus den Gliedmaßen. Sie hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden wäre, wenn Alexander Amberville, ein enger Freund der Familie, sie nicht in die Ruhe seines friedlichen Heims gebracht hätte.
Shanna hatte erfahren, was es hieß, allein und schutzlos feindlichen Soldaten im Haus preisgegeben zu sein, als die Nordstaatler wie die Vandalen eingefallen waren und alles zerstörten und niedermachten. Keine Frau war vor ihnen sicher gewesen, die das Unglück gehabt hatte, in ihre Nähe zu geraten. Niemals wollte Shanna wieder einen derartigen Albtraum erleben.
Hier in South Carolina schienen die Schrecken des Krieges so unwirklich zu sein. Das Land war friedlich, da die Truppen der Konföderierten alles unter Kontrolle hatten. Ja, hier würde sie im Lauf der Zeit gesunden und wieder zu Kräften kommen. Da war sie ganz sicher. Aber was würde sein, wenn der Krieg vorüber war? Shanna wollte darüber nicht nachdenken. Sie hatte kein Heim mehr, in welches sie zurückkehren konnte, keine Familie. Außer Tante Lea, der treu ergebenen Mulattin, welche seit ihrer Kindheit zu ihrem Leben gehörte, hatte sie niemanden mehr … und besaß nichts mehr außer einem tiefen, brennenden Hass auf die Soldaten in den blauen Uniformen, welche ihr alles und alle, die sie je geliebt hatte, genommen hatten.
Shanna zog die Vorhänge vor die Fenster, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass diese fest geschlossen waren. Dann drehte sie sich um und betrachtete sich in dem hohen Pilasterspiegel neben der Frisierkommode. Bei dem Anblick verzog sie schmerzlich das Gesicht. Mit fast durchsichtiger Hand strich sie sich prüfend durch das lange Haar, welches über das Morgenkleid bis zur Taille herabfiel. Früher war ihr die schwarze Haarpracht, glänzend wie Rabenschwingen, wie eine seidige Kaskade über den Rücken gefallen, doch jetzt war alles glanzlos und strähnig. Auch die Haut war während der langen Krankheit matt und bleich geworden. Sie sah schrecklich aus! Wie ein Gespenst!
Die großen grauen Augen, welche Shanna von ihrer Mutter geerbt hatte, verdunkelten sich vor Verzweiflung, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. Wie sehr hatte sie sich verändert!
Shanna verließ selten ihr Zimmer. Doch als es wärmer geworden war, hatte sie öfters auf dem Balkon gesessen. Dann brachte ihr Tante Lea auf einem Tablett etwas zu essen. Allerdings ließ sie meist alles fast unberührt stehen. Es gab jedoch auch Tage, an denen die Sonnenwärme ihr Gesicht aufleben ließ. Dann versprach sie sich, am nächsten Tag einen Ausritt zu wagen. Shanna war eine hervorragende Reiterin, und Alexander Amberville hatte ihr angeboten, sich von seinen prächtigen Pferden, meist Arabern, ein Tier auszuwählen.
Doch es gab auch immer wieder Tage, an denen sie die Augen geschlossen hielt und das Buch auf ihrem Schoß ungeöffnet blieb. Dann wanderten ihre Gedanken zurück zum Herrenhaus der Plantage in Baton Rouge. Der Ansturm der Erinnerung brachte eine Tränenflut und Wut auf diesen sinnlosen, blutigen Krieg, welcher Familien zerriss und Bruder gegen Bruder kämpfen ließ. Danach fühlte sie sich nur noch einsamer und verlassener.
Shanna war keineswegs arm. Tatsächlich hatte sie nach dem Tod ihres geliebten Vaters den gesamten Familienbesitz geerbt, welcher beträchtlich sein musste. Aber bis jetzt hatte sie es noch nicht über sich gebracht, nach Savannah zu fahren und herauszufinden, wie reich sie wirklich war. Spielte es denn noch eine Rolle? Was nützte ihr Geld? Sie konnte damit ihr
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