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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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tauchte unter einem von ihnen auf wie eine Vulkaninsel, sodass der Junge plötzlich auf seinen Schultern saß. Er kreischte vor Angst und Entzücken, und die Frau sah ohne zu lächeln mit anmutiger Ruhe zu.
    »Ist das seine Frau?«, fragte Rosemary.
    »Nein, das ist Mrs Diver. Die sind nicht im Hotel.« Mrs McKiscos Kamerablick war unbeweglich auf das Gesicht der Frau gerichtet. Nach einem Moment drehte sie sich heftig zu Rosemary um. »Waren Sie früher schon mal im Ausland?«
    »Ja   – ich war in Paris im Lyzeum.«
    »Ach! Na, dann wissen Sie ja wahrscheinlich, dass man |22| sich hier nur dann richtig wohlfühlt, wenn man ein paar echte Franzosen kennt. Was haben diese Leute da schon davon?« Sie zeigte mit der linken Schulter in Richtung des Ufers. »Sie kleben die ganze Zeit bloß in ihren kleinen Cliquen zusammen. Aber wir hatten natürlich auch Empfehlungsschreiben und haben in Paris alle wichtigen Künstler und Schriftsteller kennengelernt. Das hat die Dinge erleichtert.«
    »Das glaube ich gern.«
    »Mein Mann schreibt gerade seinen ersten Roman, wissen Sie.«
    Rosemary sagte: »Ach, wirklich?« Sie dachte an nichts Besonderes, sondern fragte sich allenfalls, ob ihre Mutter bei dieser Hitze wohl hatte schlafen können.
    »Er beruht auf derselben Idee wie ›Ulysses‹ «, fuhr Mrs McKisco fort. »Nur, dass mein Mann hundert Jahre anstelle von vierundzwanzig Stunden genommen hat. Also, er nimmt diesen heruntergekommenen französischen Aristokraten und kontrastiert ihn mit dem technischen Zeitalter   –«
    »Herrgott, Violet, erzähl nicht allen Leuten meine Idee«, protestierte McKisco. »Ich will doch nicht, das sie schon überall ’rum ist, ehe das Buch erscheint.«
    Rosemary schwamm ans Ufer zurück, warf sich den Bademantel über ihre schon brennenden Schultern und legte sich dann erneut in die Sonne. Der Mann mit der Jockeymütze ging jetzt mit einer Flasche und kleinen Gläsern in der Hand von einem der Sonnenschirme zum anderen. Seine Freunde wurden immer vergnügter und rückten zusammen, bis sie sich unter einem großen Sonnenschirmdach versammelt hatten   – Rosemary vermutete, dass jemand abreisen wollte und dies ein letzter gemeinsamer |23| Drink am Strand war. Selbst die Kinder schienen die allgemeine Erregung zu spüren und liefen herbei. Rosemary hatte auch diesmal den Eindruck, dass alles von dem Mann mit der Mütze ausging.
    Die Mittagssonne beherrschte jetzt Himmel und Meer   – sogar die fünf Meilen entfernten weißen Häuserzeilen von Cannes waren zu einer Fata Morgana von Kühle und Frische verblasst, während ein rotbrüstiges Segelboot eine Strähne dunkleres Wasser vom offenen Meer hereinzog. Außer im gedämpften Licht unter den Sonnenschirmen, wo sich im Gewirr der Farben und Stimmen noch etwas regte, schien es an der ganzen, weit hingelagerten Küste kein Leben zu geben.
    Campion kam erneut anmarschiert und blieb kaum zwei Meter entfernt von ihr stehen. Rosemary schloss die Augen und tat so, als ob sie schliefe. Dann spähte sie unter den Wimpern hervor und sah zwei verschwommene Beinsäulen. Der Mann versuchte, sich in eine sandfarbene Wolke zu schieben, aber die Wolke segelte in den endlosen, heißen Himmel davon. Rosemary schlief wirklich ein.
    Als sie erwachte, war sie in Schweiß gebadet und fand den Strand völlig verlassen, mit Ausnahme des Mannes mit der Jockeymütze, der gerade einen letzten Sonnenschirm zuklappte und einrollte. Während Rosemary noch blinzelnd dalag, kam er näher und sagte: »Ehe ich weggegangen wäre, hätte ich Sie noch geweckt. Es ist nicht gut, gleich am Anfang zu sehr zu verbrennen.«
    »Danke.« Rosemary betrachtete ihre hochroten Beine.
    »Du lieber Himmel!«
    Sie lachte gutmütig und versuchte ihn damit zu einem Gespräch einzuladen, aber Dick Diver war schon dabei, ein Zelt und einen Sonnenschirm zu einem wartenden Auto zu |24| tragen, und so ging sie ins Wasser, um dort den Schweiß abzuwaschen. Er kam zurück, sammelte eine Schaufel, ein Sieb und den Rechen auf und verstaute sie in einer Felsspalte. Dann schaute er auf dem Strand hin und her, um zu sehen, ob er etwas vergessen hatte.
    »Wissen Sie, wie spät es ist?«, fragte Rosemary.
    »Halb zwei ungefähr.«
    Einen Augenblick sahen sie zusammen aufs Meer hinaus.
    »Das ist keine schlechte Zeit«, sagte Dick Diver. »Keine von den ganz üblen Tageszeiten.«
    Er sah sie an, und für einen Moment lebte sie in der hellen blauen Welt seiner Augen, begierig und voller Vertrauen. Dann

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