Zaertlich ist die Nacht
schulterte er den letzten Kram und ging zu seinem Auto hinauf, und Rosemary kam aus dem Wasser, schüttelte ihren Bademantel aus und ging zum Hotel hoch.
3
Als sie in den Speisesaal kamen, war es schon beinahe zwei. Über die verlassenen Tische huschte ein schweres Muster von Sonnenstrahlen und Schatten im Rhythmus der schwankenden Pinienzweige im Park. Zwei Teller stapelnde, laut italienisch sprechende Kellner verstummten, als sie hereinkamen und servierten ihnen das inzwischen nicht mehr ganz frische Mittagsmenü.
»Ich hab mich am Strand verliebt«, sagte Rosemary.
»In wen?«
»Erst in einen ganzen Haufen Leute, die alle nett aussahen. Dann in einen einzelnen Mann.«
»Hast du mit ihm geredet?«
»Nur ein bisschen. Sieht sehr gut aus. Mit rötlichem |25| Haar.« Sie aß voller Heißhunger. »Er ist allerdings verheiratet – so ist es ja immer.«
Ihre Mutter war ihre beste Freundin und hatte alle ihre Kraft in die Förderung ihrer Tochter gesteckt, was in der Schauspielbranche nicht selten vorkommt, aber insofern doch etwas Besonderes war, als Mrs Elsie Speers keine eigene Niederlage damit zu kompensieren versuchte. Sie war weder vom Leben verbittert noch hatte sie Ressentiments zu verkraften – sie war zweimal erfolgreich verheiratet gewesen und zweimal zur Witwe geworden, und ihr fröhlicher Gleichmut war jedes Mal größer geworden. Der eine Ehemann war Kavallerieoffizier gewesen und der andere Militärarzt, und beide hatten ihr etwas hinterlassen, das sie Rosemary unversehrt weiterzugeben versuchte. Sie hatte Rosemary nicht geschont und sie damit hart gemacht. Auch mit ihrer eigenen Mühe und Hingabe hatte sie nicht gegeizt und damit in Rosemary einen idealistischen Glauben erzeugt, der sich zur Zeit noch ganz auf ihre Mutter richtete und die Welt mit ihren Augen sah. Rosemary war zwar ein »einfaches« Kind, wurde aber von einem doppelten Panzer geschützt: dem ihrer Mutter und ihrem eigenen. Sie hegte ein gesundes, erwachsenes Misstrauen gegen das Triviale, das Oberflächliche und das Vulgäre. Nach Rosemarys plötzlichem Erfolg beim Film allerdings hatte Mrs Speers das Gefühl, dass es Zeit wurde, sie seelisch abzunabeln. Es würde sie keineswegs verletzen, sondern eher befriedigen, wenn der lebhafte, atemlose, anstrengende Idealismus ihrer Tochter sich auf etwas anderes als sie selbst richten würde.
»Dann gefällt es dir also hier?«, fragte sie.
»Es könnte lustig sein, wenn wir diese Leute kennen würden. Es waren noch andere da, aber die waren nicht |26| nett. Sie haben mich erkannt. Ganz egal, wo wir hingehen, jeder hat ›Daddy’s Girl‹ 1* gesehen.«
Mrs Speers wartete, bis sich diese Aufwallung von Selbstgefälligkeit wieder gelegt hatte, dann fragte sie sachlich: »Ehe ich’s vergesse, wann wirst du Earl Brady 2* besuchen?«
»Ich dachte, wir könnten heute Nachmittag hinfahren – wenn du ausgeruht genug bist.«
»Fahr allein – ich komme nicht mit.«
»Dann warten wir eben bis morgen.«
»Ich will, dass du alleine hinfährst. Es ist nicht weit – und das Französische ist dir ja geläufig genug.«
»Mutter – gibt es eigentlich auch Sachen, die ich nicht tun muss?«
»Na schön, dann fahr eben später – aber ehe wir abreisen.«
»In Ordnung, Mutter.«
Nach dem Essen befiel sie beide die plötzliche Langeweile, die amerikanische Touristen oft heimsucht, wenn sie sich im Ausland an ruhigen Orten befinden. Keinerlei gewohnte Reize wirkten auf sie ein, keine Stimmen riefen nach ihnen, keine eigenen Gedanken erfreuten sie aus den Mündern von anderen – das fehlende Getöse ihres Imperiums vermittelte ihnen den Eindruck, das Leben stünde vollkommen still.
»Lass uns lieber nur drei Tage bleiben, Mutter«, sagte Rosemary, als sie wieder in ihren Zimmern waren. Draußen schob eine leichte Brise die Hitze herum, siebte sie durch die Bäume und schickte sie in kleinen Stößen durch die Jalousie.
»Und was ist mit dem Mann, in den du dich am Strand verliebt hast?«
»Ich liebe niemanden außer dir, liebste Mutter.«
Rosemary ging in die Halle und fragte Gausse
père
nach den Zügen, während der Portier, der in hellem Kaki hinter der Theke stand, sie hemmungslos anstarrte, bis ihm plötzlich |27| die Manieren seines Berufsstandes einfielen. Zum Bahnhof nahm sie den Bus, den sie mit zwei verlegenen Kellnern teilte, die in ihrer Gegenwart nicht zu reden wagten, was ihr sehr peinlich war. »Macht schon«, wollte sie sagen. »Unterhaltet euch,
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