Zaertlich ist die Nacht
amüsiert euch! Das stört mich überhaupt nicht.«
Im Erster-Klasse-Abteil war es erstickend heiß; die bunten Anzeigen der Eisenbahngesellschaft, die den Pont du Gard, das Amphitheater in Orange und Wintersportszenen aus Chamonix zeigten, sahen frischer aus, als das endlose, träge Meer draußen. Im Gegensatz zu amerikanischen Zügen, die in ihrem eigenen Schicksal befangen sind und verächtlich an denen vorbeirauschen, die zu einer anderen, weniger atemlosen Welt als sie selbst gehören, war dieser Zug ganz mit der Landschaft verhaftet, durch die er fuhr. Sein Atem blies den Staub von den Palmwedeln und die Schlacke mischte sich mit dem trockenen Dung in den Gärten. Rosemary glaubte, sich aus dem Fenster lehnen und Blumen abreißen zu können.
Vor dem Bahnhof in Cannes schliefen ein Dutzend Droschkenkutscher in ihren Gefährten. Die schicken Geschäfte und großen Hotels auf der Promenade, wo das Casino war, zeigten dem sommerlichen Meer nur die schnöden Masken von eisernen Rollläden. Es war kaum vorstellbar, dass es hier jemals eine »Saison« gegeben haben könnte, und Rosemary, die gern mit der Mode ging, schämte sich ein bisschen, weil sie das Gefühl hatte, dass sie ein ungesundes Interesse für etwas sehr Deprimierendes zeigte. So, als könnten die Leute sich wundern, warum sie hier in der Windstille zwischen zwei Wintern herumstolperte, während irgendwo im Norden das wahre Leben tobte.
|28| Als sie mit einer Flasche Kokosöl aus der Drogerie kam, kreuzte eine Frau ihren Weg, die mehrere Sofakissen im Arm hatte und zu einem weiter unten auf der Straße geparkten Wagen ging. Sie erkannte Mrs Diver. Ein kurzbeiniger schwarzer Hund bellte sie an, und der dösende Chauffeur erwachte mit einem Ruck. Sie setzte sich in den Wagen, ihr anmutiges Gesicht unbeweglich und kontrolliert, ihre Augen tapfer und wachsam. So starrte sie direkt ins Nichts. Ihre braunen Beine unter dem leuchtend roten Kleid waren nackt. Sie hatte dichtes, dunkel-goldenes Haar wie ein Chow-Chow.
Da sie bis zur Abfahrt ihres Zuges noch eine halbe Stunde warten musste, setzte Rosemary sich ins »Café des Alliés« an der Croisette, wo die Bäume ein grünes Dämmerlicht über die Tische warfen und ein Orchester ein imaginäres, kosmopolitisches Publikum mit letztjährigen amerikanischen Melodien und dem Karnevalsschlager von Nizza traktierte. Sie hatte für ihre Mutter ›Le Temps‹ und die ›Saturday Evening Post‹ gekauft, und während sie ihre Limonade trank, schlug sie die ›Post‹ auf und las die Memoiren einer russischen Prinzessin. Sie fand die obskuren Konventionen der Neunzigerjahre realer und näher als die Schlagzeilen in der französischen Zeitung. Es war dasselbe Gefühl, das sie schon im Hotel gequält hatte. Daran gewöhnt, dass in der Presse die krassesten Nichtigkeiten eines ganzen Kontinents zur Komödie oder Tragödie hochstilisiert wurden, hatte sie nie gelernt, das Wichtige selbst zu erkennen, und war deshalb überzeugt, das Leben in Frankreich sei öde und schal. Dieses Gefühl wurde noch durch die tristen Orchesterklänge verstärkt, die sie an die melancholischen Melodien erinnerten, die im Varieté für die Akrobaten gespielt werden. Sie war froh, als sie wieder im »Hotel Gausse« war.
|29| Ihre Schultern waren zu verbrannt, um am nächsten Tag schwimmen zu gehen, deshalb mietete sie – nach langem Feilschen, denn sie hatte ihre Preisvorstellungen in Frankreich entwickelt – mit ihrer Mutter einen Wagen und fuhr an der Riviera entlang, einer Küste mit vielen Flussmündungen. Der Chauffeur, ein russischer Zar aus der Zeit Iwans des Schrecklichen, war ein selbst ernannter Fremdenführer, und die berühmten Namen – Cannes, Nizza, Monte Carlo – begannen unter ihrer lethargischen Tarnung zu glänzen und erzählten von alten Königen, die hierherkamen, um zu dinieren oder zu sterben, von Radschahs, die englischen Tänzerinnen die Augen Buddhas 3* zuwarfen, von russischen Fürsten, die in den vergangenen Kaviartagen die Nächte durchgefeiert hatten. Die Russen hatten die deutlichsten Spuren hier hinterlassen – ihre mittlerweile geschlossenen Lebensmittelgeschäfte und Buchläden. Als im April vor zehn Jahren die Saison endete, waren die Türen der Orthodoxen Kirche geschlossen und der süße Sekt, den sie bevorzugten, weggeräumt und aufbewahrt worden für ihre Rückkehr. »Nächstes Jahr sind wir wieder da«, sagten sie, aber das war voreilig, denn sie kamen nie wieder.
Es war
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