Zarias Geheimnis
Menschen war. In einem richtigen Maisfeld zu stehen, war jedoch etwas völlig anderes, als in einem Buch darüber zu lesen. Ich stand inmitten der grünen Pflanzen mit ihren seidigen Spitzen und schlang meine Finger um einen Stängel. Ein warmer, süßer Duft stieg von den Maiskolben auf.
Leona flog an meine Seite. »Wir sollten zurückgehen. Beryl Danburit sucht bestimmt schon nach dir.«
Ich beneidete Leona. Ihre Eltern würden nicht so viel Theater machen wie Beryl Danburit; trotz all ihrer Fehler verstanden sie, dass Leona erwachsen wurde. Beryl schien mich hingegen immer noch für die neunjährige Elfe zu halten, die man vor fünf Jahren ihrer Obhut anvertraut hatte. Und dank meiner überstürzten Fluchtdurch die Luft waren wir weit von dem Portal entfernt, das nach Galena führte. Außerdem war ich auch noch in die falsche Richtung geflogen, sodass wir uns jetzt wohl mehrere Kilometer östlich von dem Ort befanden, an dem wir auf die Erde gekommen waren.
Wie lange waren wir weg gewesen? Die untergehende Sonne erleuchtete den Himmel wie magisches Feuer. Bald würde die Nacht hereinbrechen.
Ich betrachtete den rot leuchtenden Horizont und bemerkte ein merkwürdiges Flimmern am Rand des Maisfelds. Ich glitt darauf zu.
Zertretene Maisstängel bildeten einen perfekten Kreis, der so glitzerte, als hätte man jeden Stängel mit einer Extradosis Licht versehen. Fußspuren führten aus dem Kreis heraus, endeten aber dann abrupt.
Ich winkte Leona zu mir herüber. »Elfen waren hier.«
Leona riss die Augen auf. »Zari, hast du ein weiteres Portal gefunden?«
»Vielleicht. Aber warum ist dieses Portal hier für alle sichtbar, wenn das deiner Mutter wie ein einfacher Felsblock aussieht?«
Leona runzelte die Stirn. »Ich glaube kaum, dass Menschen erkennen, was es ist. Dazu muss man bestimmt Magie besitzen. Außerdem ist das Portal meiner Mutter illegal. Deshalb hat sie es ja auch mit einem Zauber versteckt.« Sie berührte eine der Spuren auf dem Boden mit dem Fuß. »Das sieht wie ein offizielles Portal aus. Wir sollten hier durchgehen, dann müssenwir nicht den ganzen Weg zurück zu unserem Portal fliegen.«
Wie immer verschwendete sie keine Zeit. Sie trat geradewegs in den Kreis aus zertretenem Mais und verschwand.
Das stille Maisfeld-Portal auf der Erde führte in einen kurzen, leeren Korridor, in dem es so laut war, dass man den Eindruck hatte, ganze Troll-Horden mit Stiefeln aus Konservendosen polterten auf der anderen Seite der Wand vorbei. Leona schwebte vor mir am Ende des Korridors neben einer matten Kupfertür. »Ich glaube, das ist die Goldene Station«, sagte sie. Sie richtete ihre Flügel auf und öffnete die Tür.
Der Lärm wurde lauter. Tausende wild durcheinanderplappernde Elfen flogen in hundert verschiedene Richtungen durch einen riesigen Raum, während Dutzende Türen auf- und zugingen. Patrouillierende Zwerge schienen sich alle Mühe zu geben, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Wir waren in Oberon-Stadts Goldener Station, einem mit Gold verzierten Bauwerk aus Marmor und Granit.
Leona steuerte einen Torbogen am anderen Ende des Raums an. Ich schlängelte mich um einen kräftigen Zwerg herum und folgte ihr. Meine Freundin glitt anmutig durch die Menge, während ich ständig mit den Flügeln an breitschultrigen Elfenmännern hängen blieb. Ich entschuldigte mich murmelnd und war dankbar, dass ich ein so farbloses, leicht zu vergessendes Elfenmädchen war.
Als wir es endlich nach draußen geschafft hatten, stiegen wir sofort auf. Wie es schien, kannte Leona den Weg. Sie ging voran, und wir flogen auf großer Höhe und schnell.
Als wir die Pforte von Galena erreichten, schlichen wir uns leise hindurch.
»In Sicherheit!«, rief Leona.
Etwas Kaltes traf mich an der Brust. Ich fühlte mich auf einmal so schwach, dass ich zu Boden fiel. Leona lag ausgestreckt neben mir.
»Oh ja, in Sicherheit«, vernahmen wir Beryls Stimme über uns. Sie stand an der Pforte neben einer der Säulen und umklammerte einen Stab mit einem schwarzen Eisenknauf.
Leona blickte Beryl wütend an. »Sie richten eine eiserne Faust gegen mich ?«
Beryl hob den Stab. »Du verdienst noch viel Schlimmeres.«
»Aber warum?«, schrie Leona. »Morgen bekommen wir unsere Kristalluhren. Dann dürfen wir sowieso allein durch die Pforte reisen.«
»Morgen ist nicht heute«, erwiderte Beryl barsch.
Ich konnte Leona ansehen, dass sie sich gerade eine Lüge ausdachte. »Es tut uns leid«, sagte sie, »dass wir uns abgesetzt haben,
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