Zaster und Desaster
Couvert zu und adressierte es an die Raiffeisenbank. Dann drückte er auf einen Knopf seiner Telefonanlage: »Auf meinem Schreibtisch liegt ein verschlossenes und adressiertes Couvert, lassen Sie das sofort per Boten überbringen. Nein, ist hier in Zürich, aber sofort, ist das klar? Danke.«
Nach drei Minuten tauchte einer der diskret gekleideten Boten der EBS auf, die es gewohnt waren, solche Umschläge nach Zürich, Genf, Hongkong, Los Angeles oder auch Kapstadt zu bringen, sofort und ohne überflüssige Fragen zu stellen.
Hugentobler stand auf, fuhr mit dem Kaderlift in die Tiefgarage, in den Teil, in dem der Boden mit Teppichen ausgelegt war und die Autos auf handpoliertem Mahagoni geparkt wurden, und nahm den Chauffeur kaum wahr, der ihm die Türe aufhielt. Automatisch wollte er sie zuziehen, bis ihm einfiel, dass die bei gepanzerten Mercedeslimousinen doch etwas zu schwer dafür sind. Also ließ er sich in das Lederpolster fallen und klopfte an die Trennscheibe zum Chauffeur. Die Türe neben ihm surrte ins Schloss, und die Stunde Fahrt nach Bern vertrieb sich Hugentobler damit, indem er aus der bordeigenen DVD-Sammlung noch mal einen guten Teil von »Wall Street« anschaute. Wirklich ein großartiger Film, dachte Hugentobler, bloß der Schluss ist natürlich Scheiße, viel zu unrealistisch, als ob das Gute jemals siegen würde.
Von einem lächerlich bekleideten Bundesweibel wurde Hugentobler dann durch die Gänge des Bundeshauses geführt, passierte ein paar Sicherheitsschleusen und saß fünf Minuten später dem Bundesminister gegenüber. Der schaute ihn leicht irritiert an, und Hugentobler legte routiniert los: »Wie Sie sich angesichts der Lage auf den Finanzmärkten vielleicht vorstellen können, sind unser VR-Präsident und unser CEO leider unabkömmlich. Sie haben mich persönlich darum gebeten, Ihnen ihre Entschuldigung zu überbringen. Gleichzeitig bin ich bevollmächtigter Sondergesandter der EBS und kann ohne weitere Rücksprache Ihnen unser Anliegen vortragen.«
Hugentobler schob das Schreiben über den Tisch, das der Bundesminister an seinen persönlichen Berater weitergab, der es aufmerksam studierte, kurz nickte und zurückreichte. »Also, Herr«, der Bundesminister zögerte kurz und warf einen Blick auf das Schreiben, »also Herr Hugentobler, Sie verstehen sicher, dass ich Sie bitten darf, direkt zur Sache zu kommen, auch hier in Bern arbeiten wir im Moment nicht mit der Berner Gemütlichkeit, nicht wahr.«
Hugentobler lächelte, als hätte er ein großartiges Bonmot gehört, und legte wieder los: »Sehr geehrter Herr Bundesz …, Bundesminister, zunächst möchte ich mich im Namen der EBS bedanken, dass Sie so schnell Zeit gefunden haben. Selbstverständlich würden wir die nicht in Anspruch nehmen, wenn es nicht um ein wirklich drängendes und gleichzeitig äußerst diskret zu behandelndes Anliegen gehen würde. Gerne nehme ich Ihr Angebot an und komme sofort zur Sache.« Hugentobler machte eine winzige Pause, diesen Moment wollte er auskosten.
»Die unvorhersehbaren Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten und deren wirklich in keinen Analysemodellen antizipierbaren Auswirkungen haben natürlich auch eine so stabile Bank in bester Schweizer Tradition wie die EBS nicht unberührt gelassen. Wir haben selbstverständlich sofort alle nötigen Maßnahmen getroffen, um diese Herausforderung anzunehmen und unter Einsatz modernster Methoden des Risk Managements …«
Leicht ungeduldig werdend unterbrach ihn der Bundesminister: »Das freut mich natürlich zu hören, und alles andere wäre ja einer Bank von einer solchen Bedeutung für die Schweizer Volkswirtschaft auch nicht zuzutrauen, aber wenn ich Sie doch nochmals bitten dürfte …« Er ließ das Satzende in der Luft hängen, genauso wie einen Bügel seiner Stahlbrille, die er von seiner beeindruckend großen Nase genommen hatte, wie er es vor jedem Pressetermin auch immer tat.
Okay, dachte Hugentobler, da habe ich vielleicht etwas zu weit ausgeholt, aber immerhin hast du mir das Stichwort geliefert: »Selbstverständlich; wie Sie ganz richtig bemerken, hat die EBS eine große Bedeutung in der und damit eine große Verantwortung für die Schweizer Volkswirtschaft insgesamt. Gerade in solchen stürmischen Zeiten ist die Stabilität einer Bank und das Vertrauen in eine Bank«, der Bundeszwerg wippte schon wieder ungeduldig mit seiner Stahlbrille, »also zusammenfassend, wir sehen uns leider gezwungen, im Rahmen der Stabilisierung
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