Zauber der Leidenschaft
begann zu weinen, als sie das hörte. Es erinnerte Sabine daran, warum unter ihren Haustieren so selten Menschen waren.
»Wer hat sie das nächste Mal getötet?«, fragte die dreiste Menschenfrau. »Vrekener?«
»Nein. Es waren andere Sorceri, die es auf ihre gottgleiche Macht abgesehen hatten. Sie haben sie vergiftet.« Wie sehr die Sorceri doch ihre Gifte verehren , dachte sie bitter. Dann verzog sie die Stirn angesichts ihrer Erinnerungen. »Dieses wiederholte Sterben hat dem Geist des jungen Mädchens übel mitgespielt. Wie eine Pfeilspitze, die im Feuer geschmiedet wird, wurde sie durch den ständigen Druck und die Schläge zu einer scharfen und tödlichen Waffe. Zudem entwickelte sie eine Gier auf das Leben wie noch niemand vor ihr. Wenn sie spürte, dass es in Gefahr war, wurde sie von blindwütiger Raserei erfasst, dem Verlangen, unerbittlich um sich zu schlagen.«
Als einige ihrer Zuhörer die Augen aufrissen, wurde Sabine bewusst, dass sich der Raum mit dichtem Nebel gefüllt zu haben schien, während sie in ihren Gedanken versunken war. Es kam häufiger vor, dass sie Illusionen hervorrief, die ihre Gedanken und Gefühle widerspiegelten, sogar wenn sie träumte.
Während sie sich beeilte, den Nebel verschwinden zu lassen, sagte ein anderer Patient: »Gute Frau, w-was ist denn nach der Vergiftung passiert?«
»Die Schwestern wünschten sich nur, zu überleben, in Ruhe gelassen zu werden und mithilfe von ein klein wenig Zauberei ein Vermögen in Gold anzuhäufen. War das etwa zu viel verlangt?« Sie warf ihnen einen »Also, ehrlich!«-Blick zu.
»Aber die Vrekener waren unerbittlich und verfolgten die Spur, die die Zauberei der Mädchen hinterließ. Besonders der Junge. Da er zu der Zeit, als er zu dem Sprung aus dem Fenster gezwungen worden war, noch nicht den Zustand der Unsterblichkeit erreicht hatte, regenerierte sich sein Körper nicht. Aufgrund seiner Verletzungen war er für alle Zeit gebrochen und vernarbt.«
Sie hatten inzwischen erfahren, dass sein Name Thronos war und dass er der Sohn des Vrekeners war, dem Sabine vor all diesen Jahren den Kopf abgeschlagen hatte.
»Da sie es nicht länger wagten, Zauberei zu verwenden, standen die Mädchen bald vor dem Hungertod. Sabine war jetzt sechzehn und alt genug, um das zu tun, was jedes Mädchen in ihrer Situation nun tun würde.«
Die dreiste Menschenfrau verschränkte die Arme über der Brust und sagte wissend: »Prostitution.«
»Falsch. Kommerzieller Fischfang.«
»Tatsächlich?«
»Natürlich nicht!«, sagte Sabine. »Wahrsagerei. Was ihr prompt die Todesstrafe wegen Hexerei einbrachte.« Sie betastete die weiße Strähne in ihrem roten Haar, die sie vor anderen durch eine Illusion verbarg. »Hexen wurden durchaus nicht immer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das ist ein Irrtum. Nein, manchmal hatte ein Dorf schon zu viele verbrannt, und darum töteten sie sie heimlich, indem sie gleich mehrere gemeinsam bei lebendigem Leib begruben.« Ihre Stimme wurde weich. »Könnt ihr euch vorstellen, wie es für das Mädchen gewesen sein muss, Erde einzuatmen? Zu fühlen, wie die Erde sich in ihren Lungen ausbreitete?«
Sie blickte auf ihre stummen Zuhörer. Alle Augen waren weit aufgerissen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
»Die Menschen hauchten rasch ihr Leben aus, doch nicht Sabine«, fuhr sie fort. »Das Mädchen widerstand dem Ruf des Todes, solange es konnte, aber es fühlte, wie es langsam sein Leben aushauchte. Doch dann hörte sie eine eindringliche Stimme von oben, die ihr befahl, zu leben und sich aus dem Grab zu erheben. Und Sabine gehorchte, ohne nachzudenken. Sie grub sich durch die toten Körper der anderen, reckte die Arme blindlings nach oben und bemühte sich verzweifelt, der Oberfläche Zentimeter um Zentimeter näher zu kommen.«
Da erklang hinter ihnen Lanthes Stimme. »Schließlich schoss Sabines Hand aus dem schlammigen Grund, bleich und zur Faust geballt. Endlich konnte Melanthe ihre Schwester finden. Während sie Sabine aus ihrem Grab zog, schlug um sie herum ein Blitz nach dem anderen ein, und Hagel prasselte auf sie herab, als ob die Erde wütend wäre, ihre Beute zu verlieren. Seit jener schicksalhaften Nacht schert sich Sabine um gar nichts mehr.«
Sabine seufzte. »Es stimmt nicht, dass sie sich für gar nichts interessiert. Sie interessiert sich wirklich sehr für nichts.«
Lanthe warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, ihre Augen schimmerten immer noch metallisch blau von der jüngsten Infusion
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