Zauber des Orients
das Kleid gewählt, das ihr noch am schlichtesten schien, ein unifarbenes Leinenkleid vongeradem Schnitt. Seine Hoheit hatte wahrlich an alles gedacht, einschließlich Schuhe und sogar zwei Sonnenbrillen. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie mit all den Sachen anfangen sollte, wenn sie nach England zurückkehrte. Sie hoffte nur, er erwartete nicht von ihr, dass sie alles behalten und von ihrem Gehalt bezahlen sollte. Den Labels nach zu urteilen, würde sie den Rest ihres Lebens damit zubringen, diese Sachen abzubezahlen. Und eigentlich waren die Sachen ja auch gar nicht für sie persönlich, sondern für eine Angestellte. Ihre äußere Erscheinung war unerlässlicher Teil eines wichtigen Projekts, bei dem sie mitarbeiten sollte.
Sadie hörte die äußere Tür gehen. Das war Hakeem, die sie abholte. Eilig schlüpfte sie in die offenen, mit Muscheln verzierten Sommersandaletten und ging vom Ankleidezimmer in den Salon, wo das Mädchen geduldig auf sie wartete.
„Ich werde mich hier wohl nie zurechtfinden“, sagte sie wenig später, als sie Hakeem durch zahllose Türen und endlose Korridore folgte. Sie bewunderte den eleganten, geschmeidigen Gang des Mädchens. Hakeem, wie auch die meisten Bediensteten in den reichen Haushalten Zurans, war Inderin und von solch zierlicher Schönheit, dass Sadie sich neben ihr wenig attraktiv und fast plump vorkam, trotz des neuen eleganten Aufzugs.
„Es war sehr nett von Ihnen, mir das Frühstück zu bringen, Hakeem“, bedankte Sadie sich noch einmal.
„Hat es Ihnen geschmeckt?“ Das Mädchen lächelte. „Gefallen Ihnen die Räume der königlichen Prinzessinnen? Die Suite ist wunderschön, nicht wahr?“, fragte Hakeem stolz. „Zu Lebzeiten der sheikha , der Mutter unserer Herrscher, haben hier nur die Frauen aus dem Herrscherhaus von Zuran gewohnt. Aber das ist schon lange her, noch bevor ich herkam. Denn die Eltern Ihrer Hoheiten starben vor meinerAnkunft hier. Das ganze Land hat damals um sie getrauert. Ein solch schreckliches Unglück.“
„Wie kamen die Eltern denn ums Leben?“
„Es war ein Autounfall“, teilte Hakeem ihr ernst mit. „Aber nicht in diesem Land“, fügte sie an, „und es ist auch schon lange her.“
„Das ist wirklich schlimm.“ Sadie erschauerte leicht. Wie sehr musste die Nachricht vom Unglück der Eltern Drax und Vere getroffen haben.
„Es war für alle sehr traurig“, wiederholte Hakeem, „denn jeder liebte und verehrte die sheikha , auch wenn sie keine Dhurahni war. Sie kam aus einem anderen Land, so wie Sie. Aus Irland.“
„Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein dhurahnischer Fürst eine Europäerin heiratet?“, fragte sie Hakeem. Sie nahm an, dass von ihr ein Kommentar erwartet wurde.
„Hier nicht. Hier hat es sogar Tradition“, berichtigte das Mädchen. Bevor Sadie noch eine weitere Frage stellen konnte, deutete Hakeem auf zwei hohe, mit reichen Schnitzereien verzierte Türen. „Ahmed wartet vor den Toren des Frauenflügels auf Sie und wird Sie zu Seiner Hoheit eskortieren, sheikha. “ Damit verbeugte sie sich graziös und wich zurück.
„Hakeem …“ Sadie wollte das Mädchen auf die Anrede ansprechen und sie danach fragen, doch zu spät. Die Türen gingen auf, und jetzt verbeugte sich Ahmed vor ihr.
Er führte sie jedoch nicht zu dem Arbeitszimmer, in dem Sadie Drax gestern begegnet war, sondern einen langen Korridor hinunter und in einen großen Saal, reich bestückt mit niedrigen Sofas und seidenen Sitzkissen. Am einen Ende des Raums gab es ein leicht erhöhtes Podest, auf dem zwei thronähnliche hohe Stühle standen. Sadie vermutete, dass es sich hier um den offiziellen Anhörungssaal handeln musste, in dem die beiden Herrscher den öffentlichen di van abhielten, eine Veranstaltung, bei der jeder Untertan dem Herrscher persönlich sein Anliegen vortragen konnte.
Doch noch immer waren sie nicht an ihrem Ziel angekommen. Weiter ging es durch einen Korridor in eine andere Halle, völlig schmucklos und modern eingerichtet. Sadie musste an den Vergleich zwischen einem reichen alten Wein und einem Glas kühlen Wassers denken. Schwarze Fliesen schimmerten matt, eine offene Treppe führte zu einer Galerie hinauf, das Geländer war aus glattem Ebenholz.
Ahmed klopfte an eine große Doppeltür, stieß sie auf, bedeutete Sadie einzutreten und verabschiedete sich dann mit dem typischen arabischen Gruß.
Zögernd betrat Sadie den Raum. Dieses Zimmer war ebenso modern gehalten wie die Halle in der unteren Etage und
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