Zauberhafte Versuchung
sagen.
»Aber nein«, fuhr Esme unbeirrt fort, »Sie schrecklicher Mensch mussten mich ja zum Opfer Ihrer ruchlosen Pläne machen. Und sehen Sie mich jetzt an.« Sie hob die Pistole und fuchtelte vor seinem Gesicht damit herum. »Nun muss ich als Wissenschaftlerin mit einer Waffe herumlaufen, Herrgott noch mal!«
Die Augen ihres Gefangenen wurden noch größer, und er nickte heftig.
»Ich hoffe nur, dass Sie sich hüten werden, mich dazu zu bringen, diese Waffe zu benutzen. Man kann nie wissen, wie gefährlich eine Frau sein kann.« Plötzlich kam Esme der Gedanke, dass sie nicht einmal wusste, ob die Waffe geladen war. Es lag ihr schon auf der Zunge, Fielding danach zu fragen, aber dann besann sie sich eines Besseren, um Waters nicht zu verraten, dass die Pistole womöglich nutzlos war.
»Vorsicht.« Fielding fasste nach ihrer Hand, mit der sie die Waffe hielt, und drückte sie auf Esmes Schoß. »Warte hier. Ich bin gleich zurück.« Und damit stieg er aus der Kutsche, steckte aber noch einmal den Kopf durchs Fenster. »Und was immer du auch tust, fass Waters auf gar keinen Fall an!«
Esme nickte und wandte sich dann wieder an ihren Gefangenen. »Hören Sie«, sagte sie und drückte die Mündung der Pistole an Waters Knie. »Sie befolgen unsere Anweisungen, und es wird alles glattgehen.« Jedenfalls hoffte sie das, obwohl sie innerlich so heftig zitterte, dass sie sich wunderte, noch ganze Sätze formulieren zu können.
»Es ist so weit«, sagte Fielding, als er erneut den Kopf durchs Fenster steckte. »Hast du den Schlüssel, Esme?«
Sie griff nach der Kette um ihren Hals und nickte.
Für den Weg zum Tower brauchten sie nicht lange, und die Straßen waren zum Glück wie ausgestorben. An den Straßenlaternen und Häusern hingen Fahnen, welche die morgigen Festlichkeiten zum Golden Thronjubiläum ankündigten. Ihre Majestät hatte sich zu einer langen Parade durch die Straßen Londons überreden lassen, und die Londoner konnten es kaum erwarten, ihre Königin endlich wieder in der Öffentlichkeit zu sehen, nachdem sie so lange um ihren Gatten Albert getrauert hatte.
Alle mit Ausnahme von Esme. Sie konnte sich keine Freude über die Feierlichkeiten leisten, solange sie nicht wusste, ob sie überhaupt noch da sein und sie würde genießen können.
Esme und Fielding drängten sich mit ihrem Gefangenen gegen die äußere Mauer des Towers, um dort auf die Männer zu warten, die ihnen helfen wollten. Esme ließ ihren Blick über die Straße gleiten, an der ein Gerüst aufgebaut war, das als provisorische Tribüne für die Parade dienen sollte. Weiter unten an der Straße sah sie einen Gärtner, der letzte Hand an ein in allen Farben leuchtendes Blumenbeet legte, das in der Abenddämmerung wie ein Teppich aus schimmernden Juwelen aussah.
Und dann sah sie Max, der mit zwei Männern zu ihnen kam.
»Wir haben uns lange nicht gesehen, Grey«, sagte einer dieser Männer lächelnd, als er Fielding die Hand hinstreckte. Nick Callum hatte welliges schwarzes Haar und ebenso dunkle Augen und war auffallend attraktiv.
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. »Ja, so ist es«, pflichtete ihm Fielding bei.
Nun reichte auch der zweite Mann Fielding die Hand.
»Fielding«, sagte Max, »das ist Graeme Langford.«
Graemes trug sein Haar unmodern lang, was seiner Erscheinung etwas Wildes verlieh, aber seine moosgrünen Augen milderten diesen Eindruck wieder ab. Als er sprach, nahm Esme den Anflug eines schottischen Akzents wahr. »Max hat uns von Ihrer gegenwärtigen Notlage erzählt.« Er sah sehr ernst aus, schien aber bereit zu sein, ihnen beizustehen.
»Gentlemen«, sagte Max, »diese Dame ist Esme Worthington.«
»Ah, die Lady mit diesem furchtbaren Fluch«, sagte Nick mit einem Lächeln. »Der Rabe hat uns schon des Öfteren Schwierigkeiten gemacht, und wir sind ganz froh über eine Möglichkeit, es ihm heimzahlen zu können.«
»Wen genau suchen wir eigentlich?«, warf Graeme ein. »Ich glaube nicht, dass ich weiß, wie dieser Rabe aussieht.« Sein Akzent verstärkte sich, je mehr er sprach.
»Er sieht mir ziemlich ähnlich«, sagte Fielding mit grimmiger Miene. »Nur dass er älter ist und silbergraues Haar hat.« Er unterbrach sich einen Moment, um über die Mauer zu spähen. »Ich nehme an, dass er bereits im Tower ist.«
»Ich weiß natürlich, dass es wichtig ist, die Kronjuwelen Ihrer Majestät zu retten«, mischte Esme sich nun ein. »Aber wir müssen auch die Schatulle zurückbekommen, die der Rabe
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