Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
oder von den Aufgaben gelangweilt, kletterte sie einfach hinunter und suchte sich etwas anderes, mit dem sie sich amüsieren konnte. Zwei Stunden Taue zu spleißen und zu nähen war nicht dasselbe wie sechs Stunden pausenlos Segel zu flicken, wenn ein Stück Segeltuch gerissen war und sofort repariert werden musste. Ihre Mutter hatte sich über ihre Schwielen und rauhen Hände beklagt. Jetzt waren ihre Handflächen hart und hatten soviel Hornhaut wie früher ihre Fußsohlen. Die wiederum waren aufgerissen und fast schwarz.
Das war für Althea der schlimmste Aspekt ihres Lebens.
Herauszufinden, dass sie als Seemann gerade noch passabel war. Ganz gleich, wie hart sie auch wurde, sie war einfach nicht so stark wie die größeren Männer auf dem Schiff. Sie war als vierzehnjähriger Junge durchgegangen, um diesen Posten auf der Reaper zu bekommen. Selbst wenn sie auf diesem Schlachterschiff hätte bleiben wollen, wäre der Besatzung aufgefallen, dass sie weder größer noch stärker wurde. Dann würde man sie nicht an Bord behalten. Sie würde in irgendeinem fremden Hafen enden, ohne jede Perspektive.
Althea starrte in die Dunkelheit. Sie hatte vorgehabt, am Ende der Reise nach einem Schiffsticket zu fragen. Sie konnte es immer noch tun, und vermutlich würde sie auch eines bekommen.
Aber jetzt fragte sie sich, ob das auch genügte. Sicher, es war eine Bestätigung von einem Kapitän, und vielleicht konnte sie damit Kyle dazu bringen, seinen gedankenlosen Eid einzulösen. Aber sie fürchtete, dass es ein hohler Triumph sein würde. Ein gestempeltes Stück Leder als Beweis, dass sie diese Reise überlebt hatte, war nicht das, was sie gewollt hatte. Sie hatte sich rechtfertigen wollen und allen, nicht nur Kyle, beweisen wollen, dass sie gut in dem war, wofür sie sich entschieden hatte. Ein würdiger Kapitän, ganz zu schweigen von einem fähigen Seemann. Aber in den wenigen Momenten, in denen sie darüber nachdachte, kam es ihr so vor, als habe sie sich nur das Gegenteil klargemacht, Was damals in Bingtown scheinbar verwegen und kühn gewesen war, kam ihr jetzt nur noch kindisch und dumm vor. Sie war weggelaufen, als Junge verkleidet zur See gegangen und hatte die erstbeste Stellung angenommen, die man ihr anbot.
Warum? fragte sie sich jetzt. Warum? Warum war sie nicht zu einem der anderen Lebensschiffe gegangen und hatte dort nach einer Stellung als Matrose gefragt? Hätten sie sich geweigert, wie Brashen es vorausgesagt hatte? Oder könnte sie jetzt an Bord eines Kaufmannsschiffes schlafen, das die Innere Passage durchkreuzte, und sich sowohl ihrer Heuer als auch einer Empfehlung am Ende der Reise sicher sein? Warum war es ihr so wichtig gewesen, dass sie anonym angeheuert hatte, dass sie sich als würdig erwies, ohne ihren Namen oder den Ruf ihres Vaters zu Hilfe zu nehmen? Es war ihr so mutig vorgekommen, damals, als sie an Sommerabenden mit gekreuzten Beinen im Hinterzimmer von Ambers Geschäft gesessen und ihre Schiffshose genäht hatte. Jetzt kam es ihr bloß noch albern vor.
Amber hatte ihr geholfen. Ohne ihre Hilfe, sowohl bei der Näherei als auch durch die gemeinsamen Mahlzeiten, hätte Althea es niemals geschafft. Ambers freundschaftliche Gefühle ihr gegenüber hatten Althea immer verwirrt. Mittlerweile überlegte sie, ob Amber sie vielleicht nur in Gefahr hatte bringen wollen. Sie tastete unwillkürlich nach dem hölzernen Seeschlangenei, das sie an einem Lederband um den Hals trug.
Die Berührung schien ihre Finger zu erwärmen, und sie schüttelte in der Dunkelheit den Kopf. Nein. Amber war ihre Freundin, eine der wenigen Freundinnen, die sie hatte. Sie hatte sie im Spätsommer aufgenommen und ihr geholfen, die Jungenkleider zuzuschneiden und zu nähen. Mehr noch, Amber hatte selbst Männerkleidung angezogen und Althea gezeigt, wie ein Mann ging und saß. Sie war einmal eine Schauspielerin in einer kleinen Schauspieltruppe gewesen.
Deshalb hatte sie viele verschiedene Rollen spielen müssen, und zwar beiderlei Geschlechts.
»Lass deine Stimme hier unten klingen«, sagte Amber und stieß Althea einen Finger unter die Rippen. »Wenn du reden musst. Aber sprich so wenig wie möglich. So ist es weniger wahrscheinlich, dass du dich verrätst, und du wirst bereitwilliger akzeptiert. Einen guten Zuhörer findet man bei beiden Geschlechtern selten. Sei einer. Vielleicht gleicht das andere Fehler wieder aus.«
Amber hatte ihr auch gezeigt, wie sie ihre Brüste flach an ihren Oberkörper binden konnte, so
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