Zehn (German Edition)
sah, das geöffnete Paket vor sich, da zögerte sie. Sie lugte durch die Scheibe, und als sie meinte, Tränen in Frau Michis Augen zu sehen, da machte sie kehrt und ging in ihren Laden zurück.
NABEMONO
oder Der Eintopf
F rau Nishki überlegte.
Was war nun zu tun? Sie rückte ihre große Brille zurecht und sah sich in der organisierten Unordnung ihrer Küche um.
Ein Fremder hätte wahrscheinlich gedacht, in der kleinen Küche habe eine Bombe eingeschlagen: Der komplette Inhalt der Schubladen lag, allerdings sauber und fein geordnet, auf der Anrichte. Stäbchen, tiefe Suppenlöffel, die große Schöpfkelle, Wasabituben und ein paar Gummibänder. An den Griffen des kleinen Schränkchens, das bis oben hin voller hübsch verzierter Suppenschalen, Tellerchen und Teeschalen war, hingen unzählige Plastiktüten. Sie waren gefüllt mit frischem Kohl aus dem Garten, eine platzte fast, denn der Balg getrockneten Seetangs, den die Nachbarin gebracht hatte, war zu groß für die kleine Tüte.
Auf der Erde befanden sich neben weiteren mit Pilzen, Kartoffeln und anderem Gemüse gefüllten Beuteln diverse Körbe, fein aufeinandergestapelt.
Auf der randvollen Spüle hatte Frau Nishki die tragbare Hand-Spülmaschine platziert, die die Kinder ihr vor einigen Jahren geschenkt hatten.
Da sie das Geschirr immer in der Spüle wusch, weil sie dem seltsamen Apparat nicht traute, hatte sie die Spülmaschine zu einem kleinen Regal umfunktioniert, worin sich nun die Teetassen für jeden Tag stapelten.
Der zu jeder Tageszeit dampfende Reiskocher stand direkt auf dem kleinen Küchentisch, und in der Ecke, vor dem Durchgang zum Wohnzimmer, hatte Frau Nishki Wäsche aufgehängt. Ihr Mann hatte das nicht gemocht, aber es machte Sinn, denn dort stand auch der kleine Gasofen, sodass die Wäsche schneller trocknete.
Der dünne Holzboden in der Küche hatte neben dem Ofen eine kleine Delle, sie hatte oft Sorge, dass der Boden ganz nachgeben würde, falls sie auf die Delle trat. Deshalb hatte sie um die Stelle herum mit Paketband ein Viereck abgeklebt. Letzte Woche war die Nachbarin trotzdem daraufgetreten, seitdem stand ein kleiner, leichter Blumentopf mit Pflänzchen in der Mitte der Delle, nun war die Gefahr des Einbrechens gebannt. Abgesehen davon war möglichen Dämonen der Weg ins Haus versperrt.
Ratlos wischte Frau Nishki die Brille an ihrer Schürze ab.
Es schien, als habe sie nichts mehr zu tun heute.
Der Reiskocher stellte sich von selbst an, und sie würde später die Unagireste, den köstlichen Aal, mit etwas Reis und Misosuppe essen.
Der kleine Ofen bullerte. Es war Januar und hier auf dem Land recht kalt.
Widerstrebend setzte sie sich an den kleinen Tisch. Seit sie allein lebte, war das keine gute Idee. Sorgen und traurige Gedanken überfielen sie dann.
Vor zwei Wochen war sie ganz früh zum Tempel gegangen. Es war Neujahr, und die Glocke des Tempels wurde hundertachtmal geläutet, für hundertsieben Sünden im alten und eine Sünde im neuen Jahr. Wer pünktlich kam, durfte einen der Glockenschläge ausführen.
Früher war sie mit ihrem Mann Hiroji gemeinsam zum Tempel spaziert. Oft waren sie zu spät gekommen und hatten nur den Glockenschlägen zuhören können.
Im letzten Jahr war er gegangen. Mit einer jüngeren Frau. Er hatte sie und das Haus einfach zurückgelassen. Seither ging sie nicht mehr viel aus. Manchmal kamen die Kinder, aber die waren längst erwachsen und lebten in der Stadt. Über den Vater sprachen sie nicht.
Als sie am Neujahrstag die Sündenglocke läutete, war sie sich zunächst nicht sicher, welche Sünden sie bereute oder zu vergeben hoffte. Später wurde ihr klar, es war seine Sünde, um deren Vergebung sie still gebeten hatte.
Natürlich hatte sich seither nichts geändert.
Als er gegangen war, hatte sie viel lernen müssen. Im Haus gab es einen Fernseher, sogar einen DVD -Player. Den hatte immer er bedient. Der Sohn hatte ihr die Fernbedienung erklären müssen. Seitdem schaute sie manchmal fern. Doch das Fernsehen war verwirrend. Es gab nun diese neue Show, in welcher drei junge Leute um die Wette aßen. Eine Teilnehmerin war eine zarte, junge Frau. Wenn sie Riesenomeletts und übergroße Sushirollen in sich hineinschlang und dazu lächelnd in die Kameras winkte, verstand Frau Nishki die Welt nicht mehr.
Das Telefon klingelte. Das passierte selten.
Frau Kumagai fragte, ob sie am nächsten Morgen vorbeischauen dürfe.
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