Zeig keine Angst!
schreie ich ihn an.
»Lass mich los! Lass mich sofort los!«
Neue Bilder schieÃen mir durch den Kopf, Bilder aus der Vergangenheit, bei denen sich mein Herz zusammenkrampft.
»Lass mich los! Lass mich endlich los!«
Er hält mich weiter fest. Ich spucke ihm ins Gesicht. Er dreht den Kopf weg und wischt sich mit dem Ãrmel die Spucke ab. Dann packt er mich, trägt mich rüber zum Motorrad und verfrachtet mich auf den Soziussitz. Ich starre ihn böse an, aber mir wird schon wieder schwindlig. Ich sitze einigermaÃen aufrecht da, aber in meinem Kopf dreht sich alles und mir wird wieder schwarz vor Augen.
»Blade!«
Digs Stimme klingt jetzt ganz fern.
»Du musst dich festhalten«, sagt er. »Du musst wach bleiben, verstehst du? Wir müssen nämlich gleich weiterfahren. Und wenn du ohnmächtig wirst, fällst du runter.«
Ich kann ihn jetzt gar nicht mehr sehen. Ich spüre irgendwas über meinem Kopf. Es ist der Helm. Er setzt ihn mir auf. Jetzt packt er meine Hände.
»Fass mich nicht an!«
Er ignoriert meinen Protest, legt meine Hände nach hinten und drückt meine Finger um etwas Kaltes.
»Das ist der Gepäckträger«, sagt er. »Halt dich daran fest.«
Ich umklammere den Gepäckträger.
»Jetzt deine FüÃe«, sagt er.
»Fass sie nicht an. Ich weiÃ, wo sie hingehören.«
Wieder ignoriert er meinen Protest. Er stellt meine FüÃe auf die FuÃrasten und schwingt sich auf den Fahrersitz.
»Lass nicht los, Kleiner. Sonst bist du tot«, sagt er.
Er scheint auf eine Antwort zu warten, aber ich kann nicht sprechen, Bigeyes. Ich kann nicht einmal denken. Mein Kopf ist völlig benebelt. Aber ein bisschen Kraft steckt noch in mir. Vielleicht genug, um mich festzuhalten, vielleicht auch nicht. Das kümmert mich jetzt nicht.
Ich will nur, dass er losfährt, egal wohin.
»Fahr los«, murmele ich.
Er startet den Motor. Das Ding ist tierisch laut. Das müssen die Feinde auf der StraÃe drüben doch hören. Aber er fährt nicht in ihre Richtung. Das merke ich selbst in meinem benommenen Zustand. Er hat den Ständer hochgekickt und wir holpern wieder ohne Licht zwischen den Bäumen durch.
Ich habe keine Ahnung, wo er hinwill und was er mit mir vorhat, Bigeyes.
Aber weiÃt du was? Das ist mir scheiÃegal.
Mir fallen die Augen zu und ich drifte weg. Ich bin nicht mehr Blade. Ich bin kein Vierzehnjähriger, der sich hinten auf einem Motorrad festklammert. Ich bin gar niemand mehr. Ich bin nur ein Gedanke, der durch die Dunkelheit treibt.
Das gefällt mir.
Ein Gedanke, der durch die Dunkelheit treibt.
Es gibt keine Welt und kein Leben mehr. Und Blade ist auch weg.
Hoffentlich kommt er nie zurück.
Aber natürlich kommt er zurück. Zum Teufel mit ihm. Er ist wie ein Fluch. Obwohl ich weggedriftet bin, spüre ich seine Anwesenheit. Und deine auch, Bigeyes. Aber da sind noch andere Leute. Und ich meine nicht Dig.
Etwas ist passiert. Es sind mehrere Leute um mich rum. Das Motorrad ist weg. Ich weià nicht, wo. Ich erinnere mich noch an die Bäume, aber das ist auch schon alles. Ich weià weder, wo wir danach hingefahren noch wo wir abgestiegen sind. Ich weià nur, dass ich jetzt woanders bin. Es ist dunkel in meinem Kopf. Ich kann mich nicht bewegen.
Und ich habe Angst.
Ich nehme Stimmen wahr, aber ich verstehe nicht, was sie sagen. Und ich höre noch was anderes, eine Art Brummen. Ich habe das Gefühl, dass ich eigentlich wissen müsste, was das ist. Aber mein Kopf funktioniert nicht mehr richtig. Meine Gedanken sind nur Fetzen ohne Zusammenhang und ohne Sinn.
Dann höre ich ein Wort, klar und deutlich.
»Jaz.«
Und nun sehe ich ein Bild. Das Gesicht der Kleinen. Sie schaut mich mit diesen Elfenaugen an. Sie lächelt nicht, sie weint nicht, sie sagt mir nicht, dass alles in Ordnung ist. Sie sieht mich nur an. Ich weià nicht, ob sie wirklich da ist oder nur in meinem Kopf. Nun höre ich wieder die Stimme.
»Jaz.«
Es ist nicht die Stimme von Jaz, sondern die eines älteren Mädchens. Jetzt sehe ich mehr Bilder. Ich beginne mich zu erinnern. Ich ahne, wo ich bin und wer die Leute um mich rum sind. Aber ich kann sie immer noch nicht sehen. Nur Jaz. Aber das ist okay. Denn sie ist alles, was ich sehen will.
Ich versuche zu sprechen.
»Jaz, es tut mir leid, Baby.«
Sie antwortet nicht. Ich weià nicht, ob sie mich gehört hat.
Weitere Kostenlose Bücher