Zeig mir den Tod
die Wiese in grelles Licht getaucht und voller Leute waren.
Er lag auf dem Beton, unter sich eine Rettungsdecke, und keuchte. Freitag kniete neben ihm, blickte auf ihn hinunter, legte eine Decke über seinen Freund, hob dann Ehrlinspiels Kopf an und flößte ihm aus einer Plastiktasse dampfenden Tee ein. »Mensch, Moritz!« Es war einer der seltenen Momente, in denen Freitag nicht schmunzelte.
»Ihr Körper war noch warm.« Er drehte den Kopf zu der Rettungsmannschaft.
Zwei Männer in weißen Kitteln nahmen Schläuche und riesige Infusionsbeutel aus einem großen Koffer, hoben einen dünnen Arm hoch, redeten leise und ruhig miteinander. Neben ihnen kniete Günther Assmann. »Mein Engel, mein Engel«, wiederholte er pausenlos, wiegte sich vor und zurück, »ich hab das nicht gewollt, ich wollte dich nicht umbringen, mein Engel, meine Annika, meine Rebecca, mein Engel, mein Engel, ich hab dich doch so lieb.«
Freitag holte tief Luft. »Ja«, sagte er nur.
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40
Montag, 22 Uhr 30
A ls der Anruf kam, saßen sie schon seit Stunden in der Küche, hatten nicht geredet und nur dem Ticken der Wanduhr und Streuners Grummeln im Schlaf zugehört, und Uwe hatte gedacht, dass Jo Krenz bis in die Ewigkeit so sitzen und warten würde.
Warten und schweigen und schweigen und warten, ob Edith oder er nicht doch etwas zu dem Vorwurf sagen würden, dass es einen Zeugen gäbe, der Uwe und Günther über Annika hatte reden hören. Eine Tierbesitzerin.
Kommissar Krenz klappte sein Mobiltelefon zu. »Rebecca lebt. Und Günther Assmann bezichtigt sich des Mordes an Annika.«
Uwe schloss kurz die Augen. Er empfand keine Freude, keine Erleichterung. Und sogar als Edith ihren Liebhaber mit einem »Er hat Annika nicht getötet! Günther ist kein Mörder!« verteidigte, fühlte er nur Leere.
»Sind Sie sicher?«, fragte Krenz.
»Rebecca lebt«, sagte Uwe. »Aber Annika ist tot. Es ist Zeit für die Wahrheit. Wir sollten ihr ein Grab und ihren Frieden gönnen. Sie kann nicht ewig da verscharrt bleiben.«
»Ja.« Edith würde nachher in das Hotel fahren. Sie hatte nur ein paar Sachen holen wollen, als der Kommissar sie überrascht hatte.
Krenz verschränkte die Arme, beugte sich über den Tisch und sah Edith an.
»Der dreiundzwanzigste Mai 1993 war ein lauer Abend«, begann sie. »Mein Mann war auf dem Weg zu Günther und Lene. Lene hatte ihn angerufen. Sie brauchten seinen Einsatz als Heilpraktiker. Ich habe mir nichts dabei gedacht und bin zur Probe gefahren. Aber die Sehnsucht nach Günther hat mich gequält. Ich war an dem Abend die Wirtin Wassilissa in Maxim Gorkis
Nachtasyl.
« Edith sah Krenz an. »Das ist ein traurig-schönes Elendspanorama. Mein Abend bestand aus Illusionen und gestrandeten Pennern, Säufern und Arbeitslosen, Kriminellen und Prostituierten. Ich hab zu schnell geredet und zu heftig gestikuliert. Und ich konnte dem Drang nicht widerstehen, nach der Probe auf den Lorettoberg zu fahren.« Sie atmete ein paarmal tief durch. »Ich bin die Einfahrt hinaufgelaufen. Es war finster, und die Bäume haben sich schwarz vor den erleuchteten Fenstern abgezeichnet. Es war völlig verrückt. Als wollten die Äste nach mir greifen. Als wären sie warnende Arme. Meine Schritte haben viel zu laut im Kies geknirscht, heute ist der Weg geteert. Da habe ich die drei Gestalten in Annikas Zimmer gesehen. Als ich Günther erkannt habe« – sie sah zu Uwe, der reglos auf der Bank saß und nicht einmal blinzelte –, »hat mein Herz fast ausgesetzt vor Freude, so dass ich immer schneller gegangen bin, bis ich alles erkannt habe.« Wieder machte sie eine kurze Pause. »Die drei standen neben dem kleinen Bett. Lene und Uwe mit dem Rücken zu mir, Günther mir zugewandt, gebeugt, daher konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Seine Haare waren damals noch lang und sind über seine Augen gefallen. Seine Hände lagen auf Annikas Gesicht. Sie trug eine rote Hose und einen weißen Pullover. Das hat mich an einen Storch erinnert. Sie war doch auch so dünn, man wollte sie dauernd umarmen und beschützen.«
Krenz lehnte sich zurück, als Edith nicht weitersprach. »Was ist passiert in dem Haus?«
»Uwe hat … seinen Arm um Lene gelegt. Zuerst war mir nicht klar, was sie da gemacht haben. Aber dann … dann hat Günther seine Arme unter Annika geschoben, ganz langsam, und sie hochgehoben. Und erst, als Annikas Kopf und das lange blonde Haar nach unten gefallen waren und ihre Arme und Beine wie abgeknickt herunterhingen, habe ich
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