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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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TEIL Eins
    DER AUSGESCHLOSSENE WIDERSPRUCH
    I. Das Thema
    W er ist John Galt?“
    Die Dämmerung hatte eingesetzt, und Eddie Willers konnte das Gesicht des Landstreichers nicht erkennen. Er hatte arglos geklungen und ohne besondere Betonung gesprochen. Doch seine Augen funkelten gelb vom Lichtschein der Sonne, die am Ende der Straße unterging, und sie waren geradewegs auf Eddie Willers gerichtet, spöttisch und starr, als hätte die Frage seiner grundlosen inneren Unruhe gegolten.
    „Warum sagen Sie das?“, fragte Eddie Willers mit nervöser Stimme.
    Der Landstreicher lehnte am Türpfosten; hinter ihm spiegelte sich in einer Glasscherbe das metallene Gelb des Himmels.
    „Was stört Sie denn daran?“, fragte er.
    „Gar nichts“, erwiderte Eddie Willers schroff.
    Er griff hastig in seine Jackentasche. Der Landstreicher hatte ihn um ein Zehncentstück gebeten und anschließend weitergesprochen, als wollte er den unangenehmen Augenblick überspielen und die Peinlichkeit des nächsten hinauszögern. Heutzutage wurde auf der Straße so häufig um Kleingeld gebettelt, dass es nicht mehr nötig war, sich Erklärungen anzuhören, und Eddie Willers war nicht danach zumute, Details über das persönliche Schicksal gerade dieses Landstreichers zu erfahren.
    „Kaufen Sie sich eine Tasse Kaffee“, sagte er, als er dem gesichtslosen Schatten das Geldstück in die Hand drückte.
    „Danke, Sir“, entgegnete die Stimme gleichgültig, und das Gesicht kam für einen Augenblick näher. Es war wettergegerbt und von Überdruss und zynischer Resignation zerfurcht, doch seine Augen wirkten klug.
    Eddie Willers ging weiter und fragte sich, weshalb er um diese Abendstunde immer diese unbegründete Angst fühlte. Nein, dachte er, nicht Angst, es gibt nichts zu fürchten. Nur eine starke, diffuse Beklemmung, ohne Ursache oder Gegenstand. Er hatte sich an das Gefühl gewöhnt, konnte es sich aber nicht erklären. Doch der Landstreicher hatte geklungen, als wüsste er, wie Eddie zumute war, als hielte er dieses Gefühl für berechtigt und als kenne er sogar den Grund dafür.
    Eddie Willers beschloss, sich zusammenzureißen, und straffte die Schultern. Er musste damit aufhören, dachte er. Er fing an, sich Dinge einzubilden. Hatte er dieses Gefühl schon immer gehabt? Er war zweiunddreißig Jahre alt. Er versuchte zurückzudenken. Nein, hatte er nicht; aber er konnte sich nicht entsinnen, wann es eingesetzt hatte. Das Gefühl überkam ihn plötzlich, in unregelmäßigen Abständen und in letzter Zeit so häufig wie nie zuvor. Es ist die Dämmerung, dachte er. Ich hasse die Dämmerung.
    Die Wolken und die vor ihnen aufragenden Wolkenkratzer verfärbten sich bräunlich wie ein altes Ölgemälde, die Farbe eines verblassenden Meisterwerks. Von den Spitzen aus rannen lange schwarze Streifen an den schmalen, vom Ruß zerfressenen Wänden herab. Wie ein erstarrter Blitz zog sich an der Flanke eines Hochhauses ein Riss über zehn Stockwerke hinweg. Ein gezackter Gegenstand durchschnitt den Himmel über den Dächern; es war eine halbe Turmspitze, die das Glühen der untergehenden Sonne noch festhielt, während das Blattgold von der anderen Hälfte längst abgeblättert war. Das Glühen war rot und starr wie der Widerschein eines Feuers, keines lodernden Feuers, sondern eines erlöschenden, das nicht mehr entfacht werden konnte.
    Nein, dachte Eddie Willers, der Anblick der Stadt hatte nichts Beunruhigendes. Sie sah aus, wie sie immer ausgesehen hatte.
    Er ging weiter und rief sich ins Bewusstsein, dass er ins Büro zurück musste und schon verspätet war. Ihm gefiel die Aufgabe nicht, die ihn nach seiner Rückkehr erwartete, aber sie musste erledigt werden. Deshalb versuchte er nicht, sie hinauszuschieben, sondern beschleunigte noch seinen Schritt.
    Er bog ab. In dem schmalen Raum zwischen den dunklen Umrissen zweier Gebäude sah er, wie durch den Spalt einer Tür, das Blatt eines gewaltigen am Himmel schwebenden Kalenders.
    Der Bürgermeister von New York hatte ihn im Jahr zuvor auf dem Dach eines Hauses errichten lassen, damit man das Datum ebenso mit einem Blick auf ein öffentliches Gebäude würde ablesen können wie die Uhrzeit. Ein weißes Rechteck hing über der Stadt und gab den Menschen unten in den Straßen das Datum bekannt. Im rostfarbenen Licht des Sonnenuntergangs an diesem Abend verkündete es: 2. September.
    Eddie Willers wandte sich ab. Er hatte den Anblick des Kalenders nie gemocht. Er störte ihn auf eine Art, die er nicht

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