Zeig mir den Tod
auf. »Ich warte hier. Ich will noch zum Grab, wenn … wenn die anderen weg sind.«
Sie verabschiedeten sich.
Bei der letzten Befragung in der Polizeidirektion hatte Nessy ihm immer und immer wieder erzählt, dass sie Assmann hatten »drankriegen« wollen. Dass er »leidet, bis er sterben will, so wie Marius jahrelang«. »Er hat gelitten«, hatte der Kommissar erwidert, und Vanessa hatte geschrien: »Er ist ein Arschloch!« Nach einer Pause hatte sie geflüstert: »Meinen Sie, ich … ich kann zur Beerdigung gehen?« – »Fragen Sie Frau Assmann. Sie ist eine verständige Frau und Mutter.« Ob Vanessa das getan hatte oder heute einfach so gekommen war, wusste Ehrlinspiel nicht.
Er ging zu seinen Kollegen, die beim Ausgang warteten.
»Was macht Bentley?« Jo Krenz’ Stimme klang belegt. Der Fall
Gartenkind
hatte ihn zwanzig Jahre lang beschäftigt – und sicher sehr mitgenommen.
»Er hält sich wacker.« Malignes Lymphom. Eine Biopsie in der Tierklinik hatte Uwe Bergers Verdacht auf den aggressiven Krebs bestätigt. Seinem Racker würden nur noch wenige Wochen bleiben, vielleicht nur Tage. Bugatti merkte dies, er wich nicht von der Seite seines Zwillingsbruders. Der Kommissar hatte sich gegen eine Operation entschieden. Die Strapazen wären zu groß gewesen und hätten Bentleys Leben maximal um zwei Monate verlängert. Wozu? Viel wichtiger war eine gute, wenn möglich schmerzfreie letzte Zeit.
»Moritz hätte dich knutschen können, als du mit Bentley gekommen bist«, sagte Hanna.
»Sie übertreibt«, wehrte Ehrlinspiel ab. Er hatte höchstens die Ohren von Bentley küssen wollen, und vor allem Hanna, die zu Hause auf ihn gewartet hatte, die eingeschweißte pinkfarbene Bettwäsche neben sich. Berger hatte Hanna nach dem Abtasten der Wirbelsäule direkt zu einem Orthopäden geschickt. Sie war ernsthaft verletzt und auch jetzt noch nicht wieder in Ordnung. Wegen der Schmerzen konnte sie nicht mehr Auto fahren. So hatte sie nach einem Tag in einem überfüllten Warte- und einem Hightech-Behandlungszimmer ein Taxi nach Hause genommen. Den Kater hatte sie – wie eigentlich vereinbart – auch nicht mehr abholen können. Doch bei Berger war er gut versorgt gewesen. Moritz hatte das Bett frisch bezogen und war erschöpft neben Hanna eingeschlafen.
»Was wirst du im Ruhestand tun?«, fragte er Jo Krenz, um vom Thema abzulenken.
»Meine Kinder brauchen einen Babysitter. Fünf Enkel.«
»Du kannst auch bei uns aushelfen«, sagte Freitag.
»Oder bei Lene«, raunte Hanna, als Frau Assmann mit Rebecca auf die Gruppe zukam.
Sie gab allen die Hand. Rebecca drückte sich an sie.
»Hallo, Rebecca!« Ehrlinspiel war zutiefst dankbar, sie gesund wiederzusehen. In der Nacht am Rhein, als Torben sie in den Armen gehalten hatte, ohne Strumpfhose, Rock und Unterwäsche, hatte er gedacht, der Kerl sei nicht nur ein Schläger, sondern auch ein Vergewaltiger. Dabei waren ihre Kleider nur voller Urin und Kot gewesen, und Marius hat sie ihr ausgezogen. Sie hatten in einer Plastiktüte im Wohnwagen gelegen.
Rebecca sah zu ihm auf. Kein Lächeln, kein Weinen mehr.
Dünn ist sie und blass, dachte der Hauptkommissar. Und sie sieht aus wie eine kleine Lene. Die gleichen Haare, die vielen Sommersprossen, nur die Augen waren graublau. Wie die ihres Vaters. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das Kind noch vor wenigen Wochen ein quirliges, sorgloses Mädchen gewesen war. Ihm wurde eng in der Brust.
Ein paar Leute gingen an der Kirche vorbei, nickten zu ihnen herüber. Auch Vanessa kam, und Rebecca verfolgte sie mit ihren Blicken. Ehrlinspiel glaubte, ein Lächeln auf Rebeccas Lippen zu erkennen, doch sofort drehte Lene ihre Tochter um und drückte sie an sich.
Am Straßenrand gingen Autotüren auf und zu, Motoren starteten.
Krenz wandte sich Lene zu. Die Sonne malte harte Schatten auf sein zerfurchtes Gesicht, doch seine Augen blickten gütig. »Sie könnten Vanessa anrufen, irgendwann. Sie hat keine Mutter.«
Lene schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass sie Marius gemocht hat. Und er sie. Ich hatte mir nichts mehr als das für meinen Sohn gewünscht. Aber sie hat zusammen mit ihm diese Katastrophe verursacht. Sie hätte ihn davon abhalten können. Sie ist schuld, dass …« Sie schluchzte auf, und sofort weinte auch Rebecca.
Krenz legte Lene eine Hand auf den Arm. »Es war nur ein Vorschlag. Marius hätte sich gefreut. Vanessa wollte für ihn da sein. Sie ist jung.«
»Ich will nichts mit ihr zu tun haben. Ich weiß nicht
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