Zeit der Idioten
entspringt ja auch nicht gerade einem hehren, künstlerischen Bedürfnis, sondern vielmehr einem geschäftlichen, marketingstrategischen Instinkt.
Jessasmarandjosef, merkt ihr das? Ich klinge schon wie der Gstettner Franz. Schlimmer noch, ich klinge wie die Idioten, die ihm weismachen wollten, was es bedeutet, Künstler zu sein. Seht ihr, das meine ich. Da ist sie wieder, meine Angst.
Bob Dylan, zum Beispiel.
Dylan hat einen Song pro Tag geschrieben und die anderen darüber diskutieren lassen, nur um ihnen vierzig Jahre später die lange Nase zu zeigen und sie zu belehren, er habe etwas völlig anderes damit gemeint und sich nie als das gefühlt, was sie in ihn hineinprojiziert hatten. Und in diesen vierzig langen Jahren haben Millionen von Nachfolgern, Musikern und Möchtegernkünstlern ihre Seelen verkauft, um das zu werden, was doch nur die Interpretation von Bob Dylan war. Wollten Sprachrohre von Generationen sein, gesellschaftsverändernd, politisch wichtig und musikalisch innovativ. Und genau dieses Wollen ist das Idiotische, da ist mein Geldmotiv doch irgendwie ehrlicher, oder?
Also gut, ich sollte zumindest einmal eine Strophe schreiben.
Oder John Lennon, ein Beispiel für das Gegenteil. Der wollte bedeutend sein, die Welt verändern, Kriege beenden und so, und letztendlich ist er einfach ein fantastischer Musiker und Sänger geblieben. Es ist immer komisch, wenn das Bedeutende als Intention spürbar wird. Wie hat Meine Wenigkeit gesagt? Es muss frustrierend sein, die Sinnlosigkeit radikalen Handelns zu erkennen. Das Feige an all den radikalen Sprengköpfen ist ja, dass sie sich selber mitsprengen!
Okay, ein scheiß Titel wird mir ja zumindest einfallen. Der Leonard Cohen – Leonard Cohen! – hat gesagt, er braucht eine Ewigkeit für einen einzigen Song.
»Cornelius?«
»Ja, Sarah …«
»Arbeitest du gerade?«
»Ja … nein, ist schon in Ordnung. Was gibt’s?«
»Ich muss eine Arbeit schreiben, mir fällt aber nichts ein.«
»Was ist das Thema?«
»Wir sollen uns was einfallen lassen, wie man diese Terroranschläge verhindern könnte.«
»Was?«
»Ja, aber mir fällt nichts ein, ich kann nur an die Mama denken.«
»Komm her.«
»Cornelius, hast du die Mama geliebt?«
»Äh … nein, ich meine nicht so richtig. Aber ich hab sie gern gehabt.«
»Jaja, ich versteh das. Sie war ja auch nie da.«
»Das war ein blöder Job, oder?«
»Naja, weiß nicht. Ich denke mir manchmal, wenn du Erfolg hättest mit deiner Musik, dann wärst du wahrscheinlich auch nie zu Hause.«
»Mmh, da ist was dran, aber, wer weiß, was wäre, wenn … verstehst du?«
»Irgendwie will ich gar nicht, dass du erfolgreich bist. Ich weiß, das klingt gemein, aber ich find’s schön, dass du da bist, Cornelius.«
»Jaja, ist ja gut, komm her.«
»Hilfst du mir bei der Arbeit?«
»Ja, sicher, ich schreib dir was heute Nacht, okay? Schlaf jetzt.«
»Morgen, Sarah. Hier ist deine Arbeit … äh, sie ist, glaube ich, nicht wirklich kindergerecht, aber ich habe mich bemüht, und ich dachte, du könntest vielleicht sagen, du bist noch nicht soweit, dich mit so was auseinanderzusetzen oder so, verstehst du …?«
»Ach so … naja, danke … wow, das schaut ja cool aus, danke. Kon … struktiver Vorschlag für … was? Prä … ven … Präventivmas … was ist denn das für ein blödes Wort, Cornelius? Das versteht ja keiner.«
»Gib es einfach deiner Lehrerin, ja?«
»Ja, scheiße!«
»Was?«
»Nichts, ich geh jetzt.«
»He, ich wollte dir helfen!«
»Jaja. Echt super. Danke.«
Jessasmarandjosef, Kinder! Da widme ich mich die ganze Nacht ihrer blöden Arbeit, wo ich doch eigentlich meinen Song schreiben wollte, und dann … was soll’s, sie ist ein wunderbares, schwieriges Wesen.
Dabei habe ich mich wirklich bemüht. Ich meine, was soll denn ein zwölfjähriges Kind für Strategien gegen Terrorismus entwickeln? Was erwartet sich diese Idiotin von Lehrerin eigentlich? Natürlich hätte ich schreiben können »Wir sollen immer lieb zueinander sein« oder so, aber was hätte das denn bitte für einen Sinn? Ich meine, ihr versteht mich doch, oder? So was würde idiotische Eltern vielleicht zu Tränen rühren, aber was bringt das? Die wirklichen Vollidioten kümmert so was kein bisschen, die bauen in der Zwischenzeit ihre Rucksäcke um und überlegen sich, in welcher U-Bahnstation sich ihre Leiche auf dem Zeitungsfoto am besten machen würde. Die wirklichen Vollidioten scheren sich nämlich keinen Deut um so was
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