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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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du ihn liebst, wird es bestimmt großartig.«
    »Ja, du hast recht.« Helena leerte ihr Glas. »Ach, Nick, ich kann kaum glauben, dass sich jetzt alles ändert. Wir waren doch trotz allem so glücklich hier.«
    »Nur nicht rührselig werden! Du kommst jeden Sommer zu Besuch – es sei denn, dein neuer Gatte hat eine Ostküstenallergie.«
    »Wir fahren jeden Sommer auf die Insel, genau wie unsere Mütter. Und wohnen direkt nebeneinander.«
    Nick lächelte. Sie dachte an Tiger House, an die luftigen Zimmer und den weiten grünen Rasen, der sich im Blau des Hafens verlor. Und an das kleine süße Cottage daneben, das ihr Vater als Geschenk für Helenas Mutter gebaut hatte.
    »Häuser, Ehemänner und Ginpartys um Mitternacht«, sagte Nick. »Nichts wird sich ändern. Jedenfalls nichts Wichtiges. Alles wird so sein wie immer.«
     
    Nicks Zug traf mit Verspätung aus Boston ein. Sie musste sich einen Weg durchs Getümmel bahnen, vorbei an Menschen, die alle in einem Durcheinander aus Koffern und Hüten und Küssen und verlorenen Fahrkarten aufbrachen, um irgendwohin zu fahren. Jetzt hat Helena schon die halbe Strecke hinter sich, dachte sie. Nick hatte die Wohnungstür eigenhändig abgeschlossen und der Vermieterin noch einmal erklärt, wohin sie alles schicken sollte: die Kisten mit den Romanen und Gedichtbänden nach Florida, die Koffer mit den Korsetts nach Hollywood.
    Dann konnte sie endlich einsteigen. Im Zug roch es nach Wäschebleiche und Aufregung. Die Reise im Havana Special von New York bis nach Miami hinunter war die erste Nachtfahrt, die sie ganz allein unternahm. Immer wieder hielt sie sich die Innenseite des Handgelenks an die Nase und atmete ihr Maiglöckchenparfum ein wie Riechsalz. In dem ganzen Trubel hätte sie um ein Haar das Trinkgeld für den Schlafwagenschaffner vergessen.
    Sie legte ihren Lederkoffer auf die Gepäckablage des Einzelabteils, ließ die Schlösser aufschnappen und sah noch einmal nach, ob sie auch alles eingepackt hatte. Ein Nachthemd für den Zug (weiß) und eines für Hughes (grün, dazu ein entsprechender Morgenmantel), zwei elfenbeinfarbene Seidenunterröcke, drei Garnituren elfenbeinfarbene Seidenunterwäsche, Höschen und Büstenhalter (die konnte sie jeden zweiten Tag waschen, bis ihre restlichen Sachen in St. Augustine eingetroffen waren), ihr Necessaire (ein Reiseflakon Parfum, ein roter Lippenstift, die edle Floris-Handcreme, die Hughes ihr aus London mitgebracht hatte, eine Zahnbürste, eine Tube Zahnpasta, ein Waschlappen, ein Stück Ivory-Seife), zwei Baumwollkleider, zwei Baumwollblusen, eine Gabardinehose (ihre Katharine-Hepburn-Hose), zwei Baumwollröcke und ein gutes, leichtes Wollkostüm (cremefarben). Außerdem zählte sie drei Paar Handschuhe ab (zwei weiß, eines cremefarben) und den grün-rosa gemusterten Seidenschal ihrer Mutter.
    Den Schal hatte ihre Mutter geliebt und auf jeder Reise nach Europa getragen. Jetzt gehörte er Nick. Diese Fahrt führte sie zwar nicht an einen so weit entfernten Ort wie Paris, aber wegen des bevorstehenden Wiedersehens mit Hughes nach so langer Zeit fühlte es sich fast wie eine Reise nach China an.
    »Ab hier ist
terra incognita
«, erklärte sie dem Koffer.
    Als der Pfiff ertönte, schloss Nick hastig den Koffer und setzte sich hin. Jetzt, nach dem Ende des Krieges, gingen einem die Szenen draußen vor dem Fenster, der Anblick von taschentuchschwenkenden Frauen und Kindern mit geröteten Augen, nicht mehr so an die Nieren. Jetzt brach niemand mehr auf, um zu sterben, die Leute wollten nur noch zu irgendeiner alten Tante oder zu einem langweiligen Geschäftstermin. Aber für Nick war es aufregend; die Welt war neu. Sie würde Hughes wiedersehen. Hughes. Sie flüsterte seinen Namen, als wäre er ein Talisman. Jetzt, nur mehr einen Tag von ihm entfernt, machte das Warten sie ganz verrückt. Merkwürdig – sechs Monate, aber die letzten paar Stunden waren unerträglich.
    Sie hatten sich zuletzt im Frühling gesehen, als sein Begleitschiff wegen notwendiger Reparaturarbeiten in New York anlegte und Hughes Urlaub bekam, den sie gemeinsam an Bord der U. S. S. Jacob Jones in einer Kabine für verheiratete Offiziere verbrachten. Der Raum war voller Flöhe gewesen, und genau in dem Moment, als Hughes ihr unter das Nachthemd griff, juckte es sie an den Fußknöcheln. Sie hatte zwar versucht, sich auf seine tastenden Fingerspitzen zu konzentrieren und auf seine Lippen an ihrem pulsierenden Hals, aber dann hatte sie die Beherrschung

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