Zeit der Wut
Daria gleich gesehen, die die zweiläufige Beretta mit beiden Händen hielt. Neben ihr standen die Kollegen von den Sondereinheiten, bis auf die Zähne bewaffnet. Mastino hatte eine Vollbremsung gemacht, starr vor Überraschung. So hatte ihn das grelle Licht der Lichtschranken erwischt, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen. In diesem Augenblick war Lupo erschienen. Nur mit einem Megafon bewaffnet, mit einer kugelsicheren Weste über dem üblichen grauen Anzug hatte er Mastino und die Seinen aufgefordert, sich zu ergeben und die Waffen auszuhändigen. Angesichts der Tatsache, dass sie überrascht und eingekreist und in der Minderheit waren, hätten sie das auch tatsächlich tun sollen. Es wäre das einzig Richtige gewesen. Aber sie hatten es nicht getan. Sie waren aus den Autos gesprungen, mit den Maschinenpistolen im Anschlag, bereit zu kämpfen. Marco hatte sich auf den Befehl Lupos hin auf Refats Leiche gestürzt, um ihn zu beschützen. Er hatte gehört, wie ihm die Kugeln um den Kopf sausten. Er hatte gesehen, wie Rainer, Corvo, Sottile und schließlich Mastino fielen, der sich mit einem letzten Fluch um die eigene Achse gedreht hatte. Die Pistole Perros war nur einen Fingerbreit von ihm entfernt gewesen, sein hasserfülltes Gesicht, seine schrille Stimme: Der Kommandant hatte recht, dass er dich hatte umbringen wollen, du Verräter! Er hatte ihn mit einem Fußtritt entwaffnet, dann hatte ihn ein anderer kaltgemacht. Nein, Marco hatte nie gedacht, dass sie so viel Mut haben würden.
– Weil sie glaubten, hatte Lupo festgestellt. Der Kommandant ist kein Söldner. Nicht mehr als wir alle auf dieser Welt. Und er will, dass seine Männer Soldaten sind.
In seinen Worten schwang eine Bewunderung mit, die er nicht verbergen konnte.
Lupo hatte sich mit dem Tower in Verbindung gesetzt, um den Start des Flugzeugs, in dem der Kommandant saß, zu verhindern. Sie fuhren Richtung Ciampino. Marco wusste, dass der Epilog unmittelbar bevorstand. Er wusste, dass er jetzt für den Senegalesen, das Rauschgift, Hamid, für die Prügelei in der
Gay Street
und all die anderen brillanten Unternehmungen bezahlen würde müssen, und er war bereit. Seit er beschlossen hatte, das Richtige zu tun, fühlte er sich wie ein anderer Mensch. Und er hatte den Eindruck, dass die WUT auf immer und ewig verschwinden würde. Alles war gut gegangen. Nur die düstere Miene, die Lupo plötzlich aufgesetzt hatte, konnte er sich nicht erklären. Warum blickte er mit dieser finsteren Miene ins Leere? Hatten sie nicht eben einen infamen kriminellen Plan vereitelt?
Auch Daria machte sich Sorgen wegen Lupos Schweigen. Während der Vorbereitungsphase hatte ihr Chef im Bann einer derartigen frenetischen Euphorie gestanden, dass er fast nicht wiederzuerkennen war. Als sie ihm gesagt hatte, dass
ihr
Marco sich Mastinos Daten angeeignet und das ganze Szenario rekonstruiert hatte … als sie ihm die CD-Rom mit „der ganzen Geschichte, vom ersten bis zum letzten Wort“ überreicht hatte, hatte Lupo sie umarmt und sogar geküsst.
– Improvisation. Fantasie. Genau das, was uns fehlt. Gelobt seiest du, meine Freundin. Alle Frauen seien gelobt. Wir armen Männer werden nie auf eurer Höhe sein.
Dann, als alles erledigt war und es nur noch darum ging, das Alphatier festzunehmen, als man eigentlich schon hätte anfangen sollen zu feiern, schlechte Laune, Schweigen, gerunzelte Stirn. Waren vielleicht die drei oder vier kurzen Telefongespräche daran schuld, die Lupo mit dem Rücken zu ihnen geführt hatte, um nicht gesehen zu werden, fünf Minuten, bevor er in den Dienstwagen eingestiegen war?
– Was?, hatte Daria mit einem Schauern gesagt, sicher, missverstanden worden zu sein.
– Refat ist in das Flugzeug gebracht worden, das ihn nach Hause, nach Marokko, bringen soll.
– Aber sie werden ihm an den Kragen gehen, sie …
– Das ist nicht gesagt. Auf jeden Fall war es Teil der Abmachung.
– Was für eine Abmachung?
– Es gibt immer eine Abmachung.
– Wenn die Geschichte herauskommt, werden sich alle Journalisten fragen …
– Die Geschichte wird nicht herauskommen, Daria.
Marco wollte es gar nicht glauben. Dennoch war Lupos Erklärung eindeutig und überzeugend. Da das Ziel des Kommandanten darin bestanden hatte, mithilfe eines vorgetäuschten Attentats für Alarmbereitschaft zu sorgen, würde es keine Meldung über das vorgetäuschte Attentat geben. Keinen Alarm, Plan fehlgeschlagen. Die Inszenierung abgeblasen. Und ohne Komödie ist das
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