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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Kopf.
    „Und …?“, sagte Papa.
    „Und dann nahm er sie mit beiden Händen und hob sie hoch. Sie war hellwach. Sie schauten einander lange in die Augen. Er fing an, sich langsam zu drehen …“
    „Als ob sie tanzen würden“, sagte ich.
    „Genau, als ob sie tanzen würden. Und dann, das Allermerkwürdigste …“
    Sie lachte uns an und zuckte mit den Schultern.
    „Und das Allermerkwürdigste war, das Baby hatte Flügel auf dem Rücken. Keine massiven Flügel. Durchsichtige, geisterhafte, kaum sichtbare, aber sie waren da. Klein, doch mit Federn. Es sah so komisch aus. Der fremde große Mann und das kleine Baby und die Flügel. Und das war’s. Er legte sie wieder hin, er drehte sich um und schaute mich noch einmal an, und es war vorbei. Den Rest der Nacht schlief ich wie ein Stein. Als ich aufwachte, bereiteten sie sie schon für die Operation vor. Aber ich war nicht mehr beunruhigt. Ich küsste sie und flüsterte ihr zu, dass wir alle sie sehr liebten, und sie nahmen sie mit. Ich wusste, alles würde gut werden.“
    „Und so ist es“, sagte Papa.
    „Und so ist es.“
    Sie stieß mich in die Rippen.
    „Wahrscheinlich habe ich daran gedacht, was du mich gefragt hast: Wozu Schulterblätter da sind? Ha?“
    Ich lächelte und nickte. „Ja. Ja, bestimmt.“
    Die Augen des Babys bewegten sich immer wieder, sahen, was sie sich im Schlaf vorstellte.
    „Lustiges kleines Küken“, sagte Papa. „Was sieht sie jetzt wohl gerade?“
    „Skellig“, flüsterte ich vor mich hin. „Skellig.“
    „Es ist nicht ganz vorbei“, sagte Mama. „Das weißt du, oder? Wir müssen immer aufpassen auf sie, besonders am Anfang.“
    „Ich weiß“, sagte ich. „Wir werden sie lieben und lieben und lieben.“
    Bald danach gingen wir. Im Gang sah ich Doktor MacNabola aus dem Lift herauskommen, umringt von einem Haufen Studenten in weißen Mänteln. Ich bat Papa, einen Augenblick zu warten, und rannte zu Doktor MacNabola. Er schaute auf mich herunter.
    „Doktor“, sagte ich. „Ich habe Ihnen von meinem Freund erzählt. Erinnern Sie sich? Von dem mit Arthritis.“
    Er wölbte seine Brust und zog die Schultern hoch.
    „Aha“, sagte er. „Ist er jetzt reif für meine Nadeln und meine Säge?“
    „Nein“, sagte ich. „Es scheint ihm immer besser zu gehen.“
    „Großartig“, sagte er. „Lebertran und eine Portion positives Denken, was? Vielleicht entkommt er mir noch einmal.“
    Die Studenten kicherten.
    „Kann Liebe einem Menschen helfen, gesund zu werden?“, fragte ich.
    Er zog die Augenbrauen hoch, spitzte den Mund, tippte an sein Kinn.
    Eine der Studentinnen zog Notizbuch und Bleistift aus ihrer Tasche.
    „Liebe“, sagte der Arzt. „Hmmm. Was wissen wir Ärzte über Liebe?“
    Er zwinkerte der Studentin mit dem Notizbuch zu, und sie errötete.
    „Das Kind, das unseren Atem atmet. Das ist Liebe. Liebe ist das Kind, das den Tod noch aus dem Tod vertriebe.“
    „William Blake?“, sagte ich.
    Er lachte. „Wir haben einen gebildeten Mann vor uns.“
    Zum ersten Mal lächelte er richtig.
    „Sag deinem Freund, ich hoffe, dass er und ich uns nie begegnen müssen.“
    Dann zwinkerte er mir zu, drehte sich um und führte die Studenten fort.
    „Was war das?“, fragte Papa, als ich zu ihm zurückrannte.
    „Nichts“, sagte ich. „Da war jemand, den ich kennengelernt habe, bald nachdem das Baby eingeliefert wurde.“
    Er lachte.
    „Ein richtiger Geheimniskrämer bist du.“
    Auf dem Weg nach Hause drehten wir die Autofenster herunter, und er sang aus voller Brust „The Black Hills of Dakota“.
    Ich legte die Hände zusammen und schrie immer wieder wie ein Kauz.
    „Das ist gut“, sagte er. „Ich mag das. Das ist wirklich gut. Du musst mir einmal zeigen, wie du das machst. Natürlich nicht, solange ich fahre, was?“
    Wir lächelten, als wir durch die belebten Straßen der Stadt fuhren.
    „Sie ist noch nicht ganz außer Gefahr“, sagte er. „Das verstehst du, nicht wahr?“
    „Ja. Aber sie wird es bald sein, nicht wahr?“
    „Ja!“, rief er. „Ja, verflixt, wird sie.“
    Und er sang wieder.
    „Muss jetzt mit diesem verflixten Haus weiterkommen, was?“, sagte er. „Und heute Abend essen wir 27 und 53. Ich weiß.“
    „27 und 53“, sagte ich. „Süßester Nektar!“
    „Süßester Nektar! Das ist gut. Verflixt süßer Nektar!“

42
    Die Dämmerung war längst vorbei, als Mina und ich uns auf den Weg machten mit einer Papiertüte, darin die Überbleibsel von 27 und 53 und eine Flasche helles

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