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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Vielleicht wirst du bald deine eigene Persephone zu Hause begrüßen können.“
    Wir dachten eine Weile still an Persephone. Ich stellte sie mir vor, wie sie sich ihren Weg zu uns bahnte. Sie zwängte sich durch schwarze Tunnel. Sie bog an den falschen Stellen ab, schlug den Kopf an Felsen an. Manchmal gab sie vor Verzweiflung auf und lag bloß noch weinend in der pechschwarzen Dunkelheit. Aber sie kämpfte weiter. Sie watete durch eisige unterirdische Ströme. Sie kämpfte sich durch Urgestein und Schlamm und Eisenerz und Kohle, durch Fossilien früherer Lebewesen, durch die Skelette von Dinosauriern, durch die verschütteten Ruinen antiker Städte. Sie grub sich durch die verschlungenen Wurzeln großer Bäume hindurch. Sie war zerschunden und blutete, aber sie gab nicht auf, zwang sich vorwärts und aufwärts. Sie sagte sich, dass sie das Sonnenlicht bald wieder sehen und die Wärme der Welt wieder spüren würde.
    Dann unterbrach Minas Mutter meine Gedanken.
    „Ich passe jetzt auf die Vögel auf“, sagte sie. „Ihr beiden wandert ein bisschen herum.“
    Und Mina nahm meine Hand und führte mich fort.
    Es war, als ob wir in einem Traum gingen. Die Häuser schwenkten und schwankten. Die Sonne gleißte über den Dächern. Die Vögel erschienen ausgefranst und schwarz vor dem ungewöhnlichen Himmel. Die Straße glänzte, ein tiefer schwarzer Teich. Unsichtbarer Verkehr dröhnte und pfiff. Sie hielt mich am Arm.
    „Geht’s dir gut, Michael?“, fragte sie immer wieder. „Geht es dir wirklich gut?“
    Wir schafften es bis zur GEFAHR -Tür. Sie führte mich durch das Tor, durch den großen Garten, durch die Tür, in das dunkle staubige Innere. Wir gingen schweigend hinauf. Sie hielt mich am Arm, als sei ich ein alter Mann oder ein Verletzter.
    Auf dem letzten Treppenabsatz sagte sie zu mir: „Er wird auf uns warten, Michael. Er wird sich so freuen, dich wiederzusehen.“
    Sie drückte die Klinke, wir gingen hinein, Sonnenlicht strömte durch das Bogenfenster herein. Wir standen da und guckten. Er war nicht da. Mina rannte wieder die Treppe hinunter und durch das Haus. Ich hörte ihre Füße auf den bloßen Brettern, hörte Türen aufschwingen. Ich hörte sie nach ihm rufen.
    „Skellig! Skellig! Skellig!“
    Ich hörte sie langsam wieder heraufkommen. Ihr Gesicht war blasser denn je. Tränen glänzten in ihren Augen.
    „Er ist nicht hier“, flüsterte sie. „Er ist einfach nicht mehr hier.“
    Wir gingen zum Fenster und guckten in den leeren Himmel über der Stadt. Ich merkte, dass ich vornüberfiel. Ich hielt mich am Fensterbrett fest. Ich langte an mein Herz.
    „Oh, Mina“, sagte ich.
    „Was ist denn?“
    „Mein Herz hat aufgehört zu schlagen. Fühl mein Herz. Da ist nichts.“
    Sie holte Atem. Sie berührte meine Brust. Sie rief meinen Namen. Und dann nichts als Schwärze.

39
    „Nicht Doktor Tod anrufen“, murmelte ich. „Nicht Doktor Tod anrufen.“
    Ich war auf den Bretterboden gestürzt. Mina kniete über mir. Sie strich mir über die Stirn, flüsterte meinen Namen.
    „Nicht Doktor Tod“, sagte ich wieder.
    „Nein“, sagte sie. „Nicht Doktor Tod.“
    Mit viel Mühe setzte ich mich auf. Ich lehnte mich an die Wand unter dem Fenster.
    „Leg die Hand auf dein Herz“, sagte sie.
    Ich tat es und ich spürte den Herzschlag.
    „Siehst du?“, sagte sie.
    „Aber es ist nur meines, Mina. Es ist nicht das Herz des Babys.“
    „Oh, Michael.“
    Ich kam wieder zu Kräften. Ich schluckte, drückte meine Augen zu, ballte meine Fäuste. Ich spürte wieder mein Herz.
    „Es ist nur mein Herz, Mina. Nicht das Herz des Babys. Das Baby ist tot.“
    „Das kannst du doch nicht wissen“, sagte sie.
    Ich zog mich hoch, kam zum Stehen.
    „Ich glaube schon, Mina.“
    Sie stützte mich, als wir den Raum verließen und ins dunkle Haus gingen.
    „Wo ist er?“, sagte ich, als wir hinuntergingen.
    Keine Antwort.
    „Hast du überall geschaut?“, sagte ich.
    „Ja, überall.“
    Ich griff wieder an mein Herz, und es war immer noch dasselbe.
    „Sie ist tot“, flüsterte ich.
    „Aber vielleicht geht es ihr gut.“
    „Ich rufe im Krankenhaus an“, sagte ich, aber ich wusste, dass ich mich nicht trauen würde.
    Wir gingen hinaus in das Frühlingslicht. Als wir aus der Tür traten, sahen wir die Amseljungen in das schützende Gebüsch hopsen. Auf der Straße hockte eine fremde Katze hinter einer Mülltonne und beobachtete uns mit feindseligen Blicken.
    „Bald wird dein Papa dich abholen“, sagte Mina. „Er

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