Zeit Des Zorns
und politische Interessen finden – Menschen, die keine Schlupflöcher für sich allein suchen, sondern sich mit den ganzen Verhältnissen nicht mehr abfinden wollen?
Wir sollten uns von unseren Lebensumständen und Erfahrungen berichten, klug streiten, um weiterzukommen, Schlussfolgerungen ziehen. Es gibt kein Weiterkommen ohne qualifizierte, rücksichtslose Kritik, anders geht Denken nicht.
In diesem Buch wird auch eine kurze Geschichte des mehr als 30-jährigen internationalen Widerstandes gegen Weltwirtschaftsund G8-Gipfel erzählt, von Berlin und München nach Seattle, von Göteborg und Genua nach Heiligendamm. Lektionen, aus denen wir lernen können.
Fruchtbar ist es, sich gegenseitig auf den besten Stand der Information bringen. Für die kommenden politischen Auseinandersetzungen ist die Lage zu klären. Wir sollten die Voraussetzungen für unser Vorhaben kennen: Welches sind die inhaltlichen Fragen? Welche politischen Auseinandersetzungen sind nötig, welche überflüssig? Was lernen wir aus der Geschichte? Wie wehren wir uns heute? Leben wir überhaupt in einem demokratischen Rechtsstaat, der uns Protest und Widerstand gnädigerweise gestattet? Mit wem gemeinsam und mit wem nicht? Warum ist der Reformismus eine Sackgasse? Welche Rolle spielen Linkspartei, Piraten und Occupy? Auch diese Fragen werden in diesem Buch behandelt.
Wie können wir zusammenkommen? Wie lernen wir zu verstehen, in welchem Land wir eigentlich leben? Wie können wir uns über all die (sub)kulturellen und Milieugrenzen, über LandesundSprachgrenzen hinweg zusammenrotten? Wie Angst überwinden?
Es sind viele Fragen, die hier diskutiert werden. Die Zeit des Zorns ist auch eine Zeit zu denken, zu handeln, sich zu organisieren. Auch dazu finden sich Vorschläge in diesem Buch.
Und in allem geht es darum: Es macht sehr viel glücklicher, in einer Welt zu leben, die nicht von Ausbeutung, Hass, sozialer Not und Gewalt durchsetzt ist. Eine, in der die Menschen sozial gleich und deshalb wirklich frei sein können, so verschieden zu sein, wie sie wollen, und all ihre Fähigkeiten zu entfalten.
Jutta Ditfurth, im August 2012
1 Zeit des Zorns
Auf dem Weg zu einem Rockkonzert steigt der Mann in den Bus Richtung Taunus. In Frankfurt am Main, wo er lebt, wird seine Lieblingsmusik selten gespielt, obwohl es dort in den Clubs und Lounges zurzeit interessante Beobachtungen zu machen gibt. Die Weltwirtschaftskrise hat denen, die das soziale Klima in der Stadt so lange schon mit ihrem neoliberalen Geschwätz und mit ihren Entscheidungen vergifteten, ein wenig die Luft herausgelassen. Das erheitert ihn.
Der Passagier sieht hinaus in die Nacht, nach einigen Haltestellen ist er mit dem Busfahrer allein. Er denkt über Dinge nach, die er erledigen will, über private Sorgen und über politische Fragen, die er mit Freundinnen und Freunden diskutieren wird. Die Musik wird ihm helfen, sich zu entspannen. Draußen ist es kalt und trocken, eine klare Nacht. Plötzlich sagt der Busfahrer in die Stille hinein: »Schade, dass es heute keine Revolution mehr gibt« und schaut in den Rückspiegel. Er hat, wie sich herausstellt, durch die Weltwirtschaftskrise sein Reihenhaus verloren. Sein Hass ist riesengroß.
Staatliche Obrigkeit und Kapital ahnen, dass es in den Köpfen Hunderttausender, wenn nicht Millionen Menschen brodelt. Aber Politiker wie Manager sind so weit vom normalen Leben der Menschen entfernt, dass sie vom wirklichen Ausmaß der großen Wut nichts wissen. Oft sind nur Chauffeure, Taxifahrer und Pförtner ihr stark gefilterter Kontakt zum wirklichen Leben, den Rest der Gesellschaft »erklären« ihnen die Bild -Zeitung und Gala .
Das menschliche Gedächtnis ist zwar kurz, und wo es das nicht ist, wird hart an seiner Beschränkung gearbeitet. Dennoch erinnern sich noch viele Menschen daran, dass nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR 1990 sowie nach der Auflösungder Sowjetunion 1991 das »Ende der Geschichte« beschworen wurde, gar der »Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit«, so der US-Politologe Francis Fukuyama. 1 Der Kapitalismus, oft als »Marktwirtschaft« maskiert, habe »endgültig gesiegt«, posaunten die, die von ihm profitierten.
Menschen versuchen sich von Herrschaft und Unterdrückung zu befreien, seitdem es menschliche Gesellschaften gibt. Ohne Protest, ohne Widerstand, ohne soziale Revolutionen gäbe es nichts von dem, was wir heute an sozialen Rechten und demokratischen Freiheiten zu retten versuchen.
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