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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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nie eine besonders große Bedeutung. Unser Leben spielte sich statt dessen um die Kirchen herum ab, von denen es allein innerhalb der Stadtgrenzen achtzehn gab. Sie hatten klangvolle Namen wie Gemeinde gläubiger Christen, Kirche der Vergebung Empfangenden und Kirche der sonntäglichen Sühne, und dann gab es die Baptisten-Kirchen. In meiner Kindheit war das bei weitem die beliebteste Konfession im ganzen Umkreis, und es gab Baptisten-Kirchen an fast jeder Straßenecke, von denen sich jede allen anderen überlegen fühlte. Es gab Baptisten-Kirchen jeglicher Beschreibung - Baptisten des freien Willens, Südstaaten-Baptisten, Baptisten des Südens, Freie Baptisten, Missionarische Baptisten, Unabhängige Baptisten… na, man kann sich leicht ein Bild machen. Damals wurde das große Ereignis des Jahres von der Baptisten-Kirche in der Stadt - den Baptisten des Südens , genauer gesagt - zusammen mit der High School auf die Beine gestellt. Jedes Jahr inszenierten sie ein Krippenspiel im Beaufort Playhouse. Eigentlich war es ein Theaterstück, das Hegbert Sullivan geschrieben hatte, der Pfarrer der Kirche, der dieses Amt mindestens seit der Zeit, als Moses die Israeliten durch die Wüste geführt hatte, ausübte. Na gut, vielleicht war er nicht ganz so alt, aber er war so alt, daß seine Haut fast durchsichtig war die Kinder behaupteten steif und fest, sie könnten das Blut in seinen Adern fließen sehen. Irgendwie war sie immer auch etwas feucht, und sein Haar war so weiß wie das Fell der Kaninchen, die zu Ostern in den Tierhandlungen zu haben sind.
    Also, er hatte das Stück geschrieben - es hieß DER WEIHNACHTSENGEL -, weil er nicht immer den alten Dickens-Klassiker »Ein Weihnachtslied« aufführen wollte. Seiner Ansicht nach war Scrooge ein Heide, der nur deswegen auf den richtigen Weg gebracht wurde, weil er Geister sah, und keine Engel, doch wer konnte schon genau wissen, ob sie wirklich von Gott gesandt waren? Und wer konnte wissen, ob er nicht sein altes, sündiges Leben wiederaufnehmen würde, wenn sie nicht direkt vom Himmel kamen? In dem Stück erfährt man das am Schluß nicht richtig - es geht dabei um Gottvertrauen -, und Hegbert traute den Geistern nicht, wenn sie nicht von Gott kamen, und weil das nicht klipp und klar gesagt wurde, hatte er seine Probleme mit dem Stück. Ein paar Jahre zuvor hatte er das Ende umgeschrieben, hatte sozusagen seinen eigenen Schluß angehängt, in dem Scrooge Prediger wird und sich auf den Weg nach Jerusalem macht, wo er den Ort finden will, an dem Jesus die Schriftgelehrten unterrichtet hatte. Das kam nicht besonders gut an - auch nicht bei der Gemeinde, die dem Stück mit weit aufgerissenen Augen folgte, und in den Zeitungen stand danach ungefähr: »Obwohl es natürlich interessant war, so war es doch nicht das Stück, das wir alle kennen und lieben gelernt haben…«
    Also versuchte Hegbert es mit einem Stück aus eigener Feder. Er hatte sein Leben lang seine Predigten selbst geschrieben, von denen manche, das mußten wir zugeben, wirklich spannend waren: besonders die, in denen er davon sprach, daß sich »der Zorn Gottes über die Unzuchttreibenden ausgießen werde«, und solche aufregenden Dinge. Ich muß schon sagen, das brachte sein Blut mächtig in Wallung, wenn er von den Unzuchttreibenden sprach. Das war ein heißes Thema für ihn. Als wir noch jünger waren, haben meine Freunde und ich uns im Gebüsch versteckt und gerufen: »Hegbert ist ein Unzuchttreibender«, wenn wir ihn auf der Straße sahen, und dann haben wir wie die Blöden gekichert, als wären wir die witzigsten Wesen unter der Sonne.
    Und Hegbert, der Alte, blieb dann wie angewurzelt stehen. Seine Ohren richteten sich auf - sie bewegten sich wirklich, kein Witz -, dann lief er dunkelrot an, als hätte er gerade Benzin getrunken, und seine dicken, grünen Adern am Hals und überall schwollen so stark an, daß sie aussahen wie der Amazonas auf den Landkarten in der Zeitschrift National Geographie. Er blickte von rechts nach links, seine Augen wurden kleine Schlitze, während sie uns zu erspähen versuchten, und dann wurde er ganz plötzlich wieder blaß und kriegte wieder das fischige Aussehen, genau vor unseren Augen. Junge, war das ein Anblick!
    Wir versteckten uns also hinter einem Baum, und Hegbert (welche Eltern nennen eigentlich ihr Kind Hegbert?) wartete, daß wir uns ergeben würden, als hielte er uns für so dumm. Wir preßten die Hände auf den Mund, um nicht laut loszulachen, aber irgendwie

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