Zeitbombe Internet
in bester Absicht.
Es ist eine reibungslose Zukunft, von der auch Industriemanager für ihre eigenen Produktionsanlagen träumen. Die globalisierte Wirtschaft unserer Tage wäre ohne Computer und das Internet undenkbar. Eine Näherin in Vietnam, die für ein schwedisches Textilunternehmen im Akkord Frühlingsmode näht, die am Computer in London entworfen wurde, deren Tagewerk mit einem Funkchip versehen und nach Europa verschifft wird, wo automatische Kräne die Ware entladen, welche nach einem laufend computer-optimierten Muster in den Läden der Republik verteilt wird â das ist heute Alltag. Nur so können T-Shirts vier Euro kosten, nur so können alle zwei Wochen die Kollektionen wechseln. Mode, Autos, Software, Spielzeug, Zahnpasta, Küchengeräte, Arznei: Wir denken immer, alles sei so billig, weil es die Chinesen gibt. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Es sind die Computer, vernetzt über das Internet, die das längste FlieÃband der Welt am Laufen halten. Sie organisieren komplizierte Produktionsketten und Transportlogistiken über den ganzen Erdball hinweg und mehren unseren materiellen Wohlstand.
Brian W. Arthur, ein Ãkonom und Innovationsforscher am amerikanischen Santa Fe Institute, spricht von einer »stillen, unsichtbaren Wirtschaft«, die sich über unsere vertraute physische Welt gelegt habe, die sie geschmeidiger, effizienter und profitabler funktionieren lasse. »Studien zeigen, dass der überwiegende Teil der Produktivitätssteigerung in den USA in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten auf den zunehmenden Einsatz der Informationstechnik zurückgeht«, führt der Professor aus.
Und? Kann man das noch steigern? Die Pläne zumindest gehen noch viel, viel weiter. Wenn man in diesen Tagen mit Visionären und BranchengröÃen aus diesem rapide wachsenden elektronisch-datenverarbeitenden Komplex spricht, dann reden sie schon über ein ganz anderes Kaliber von Internet. Ein Weltnetz, das wahrhaft in allen Winkeln der Welt zuhause ist und das endlich alle Erdbewohner in seine Informationsströme und Produktionsketten einbindet. »Die heutigen Schwellenländer werden bis 2025 mehr als die Hälfte der Internetwirtschaft
ausmachen«, sagt das kalifornische Unternehmen Cisco voraus, ein Unternehmen, das den GroÃteil der Internetinfrastruktur gebaut hat und dies auch künftig tun will. Cisco leitet bereits gigantische Wachstumsprognosen für sich selber, für die Internet- und Elektronikwirtschaft und überhaupt für die Weltwirtschaft ab. Bei Cisco sprechen sie vom »Drei-Billiarden-Dollar-Internet«.
Es geht nicht nur um die schiere Masse der eingebundenen Menschen. Das Netz soll über die Menschen auch viel mehr wissen als bisher â und dieses Wissen den Waren- und Diensteverkäufern, den Arbeitgebern und den Verbrauchern selber zur Verfügung stellen. »Wir werden vorhersagen können, ob das Konzert, das Sie heute Abend besuchen wollen, gut oder schlecht ist«, hat der Google-Chef Eric Schmidt vor einiger Zeit erklärt, »weil wir durchsuchen können, wie die Menschen darüber im Internet reden. Die Suche wird Ihnen empfehlen, wann Sie losfahren sollten, weil wir über das Internet erfahren, wie viele Fahrzeuge zu dem Konzert unterwegs sind.« Da wird an Computernetzwerken gearbeitet, die unsere Vitalfunktionen und unsere geistige Verfassung ständig im Auge behalten: »Microsoft hat im Jahre 2006 eine Technologie patentiert, mit deren Hilfe Puls, Blutdruck, Hautwiderstand und Mimik von Büroangestellten erfasst werden können. Laut Patentantrag soll das System Manager jedes Mal informieren, wenn ihre Mitarbeiter unter erhöhter Frustration oder Stress leiden«, schreibt der amerikanische IT-Journalist Stephen Baker.
Und das sind bloà die vergleichsweise bodenständigen Ãberlegungen. Die neue Allgegenwärtigkeit der Chips, die vollständige Vernetzung der Menschen und ihrer Dinge, die Verwandlung des Internet in einen einzigen Computer, der die Welt umspannt: In Silicon Valley und Umgebung weckt all dies gewaltige Erwartungen. »Je mehr wir diesen Megacomputer benutzen«, schrieb der Zukunftsforscher Kevin Kelly, »desto mehr wird er die Verantwortung für unser Wissen übernehmen. Dann wird er unser Gedächtnis. Und dann unsere Identität.« Das Internet werde zur »neuen Heimat des
Geistes« heranwachsen â so hatte es
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