ZEITLOS - Band 3 (German Edition)
nicht auch darüber, dass trotzdem alles irgendwie koordiniert abläuft?
Nehmt doch nur den Bau des Teslators, die Entwicklung entsprechender Fahrzeuge und anderer Techniken, den Bau von Straßen und das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben! Zwar haben wir unsere Ethikräte, die uns im Kleinen koordinieren und dadurch die Menschen zu Systemzellen zusammenschweißen, aber die große Koordination, woher kommt die? Mich erinnert das an das Zusammenspiel innerhalb von Bienenstaaten. Da koordiniert eine Königin den gesamten Staat, der räumlich, teilweise über große Distanzen, voneinander getrennt ist. Wer aber ist bei unserem Zusammenleben diese Königin?< >Oder König?<, konterte Lars trocken.
Markus bemerkte, dass Birte ihn unverwandt fragend anschaute. Sofort war ihm klar, was sie meinte. ES! Im selben Augenblick wusste er zugleich, dass dieser Gedanke spontan und ungewollt den Damm seiner persönlichen Kommunikation mit Birte durchbrochen hatte und augenblicklich allen in der Runde bewusst wurde. Unwillkürlich beobachtete er die Härchen auf seinen Unterarmen, doch nichts geschah.
>Genau! Wir haben alle schon die Wirkung von ES erfahren, aber nie darüber gesprochen - jetzt ist es heraus! Wir haben ES erlebt und wir haben alle dasselbe beunruhigende Gefühl dabei.< Kerstins Augen wirkten unsicher, als sie fortfuhr: >Was ist ES? Ist es Gott? Sind wir das ES, wir alle zusammen? Was will ES von uns? Was macht ES mit uns? ES scheint mich zu rufen, aber ich habe Angst, mich diesem Sog der Liebe hinzugeben! Ich fürchte, dabei mein Ego zu verlieren - oder meinen Verstand, wenn man so will.<
Eine Antwort darauf fanden sie an diesem Abend nicht mehr.
***
Markus Stettner stand am Fenster seines Professorenbüros und sah über die Dächer Kiels. Das Morgenlicht leuchtete das Büro vollständig aus und tauchte es in schillernde Farben. In der Ferne sah er den Groß-Kran der Werft. Eine Skandinavienfähre lief ein. Über die Dächer hinweg sah man lediglich die Oberdecks des majestätisch in die Kieler Förde einlaufenden Schiffes.
Es war ungewöhnlich, dass sich Stettner dem Luxus hingab, dieses vertraute Bild bewusst zu genießen. Doch jetzt fuhr die erste Fähre mit freier Tesla-Energie, was leicht an der kugelförmigen Antenne des umgerüsteten Schiffes zu erkennen war.
Noch immer prägten Papierstapel und Bücherberge sein Büro. Der chaotische Anblick konnte unvorbereitete Besucher zu der voreiligen Befürchtung verleiten, dass der Professor möglicherweise Gefahr lief, die Übersicht zu verlieren.
Wer Stettners Arbeitsweise jedoch kannte, wäre niemals auf die Idee gekommen, dass dieser nicht genau wusste, in welchem Stapel welches Dokument oder welcher Bericht lagen. Sprach man ihn darauf an, kommentierte er gern: Wahrer Genius erkennt auch im Chaos die zugrunde liegende höhere Ordnung .
Bei diesem Gedanken legte sich ein Schmunzeln um Stettners schmaler gewordene Lippen. Wieso er in diesem Moment an seine ehemalige Assistentin denken musste, verstand er sofort. Wie oft hatte sie ihn mit diesem Satz aufgezogen und so manches Mal sogar bewiesen, dass nicht jedes Chaos jederzeit beherrschbar war.
Unwillkürlich fiel sein Blick auf die alte, unter einer Glaskuppel geschützt stehende Funkuhr, die noch immer den Zeitpunkt anzeigte, mit dem damals alles begonnen hatte:
Do 10. Juni - 12:33 Uhr.
Das war der Moment, der sein Leben und letztlich das Leben der gesamten Menschheit verändert hatte. Es war ein Datum, dessen wahre Bedeutung nur seine NHE-Freunde und seine damalige Assistentin, Nele Hesse, einzuordnen wussten. Dieser Tag war sein persönlicher Schicksalstag.
Die schützende Glaskuppel mit dem seltsamen Boden, auf dem die Uhr stand, war ein Geschenk von Simon. Der hatte den durch Mentalkraft zerstörten Chip des Motherboards in eine wasserklare, harte Masse eingießen und versiegeln lassen, die nun als Grundplatte diente, auf der die Uhr ihren Ehrenplatz gefunden hatte. Stettner seufzte.
Wenn ihm heute ein wenig sentimental zumute war, so hatte dies einen bestimmten Grund. Wie immer, wenn größere Veränderungen in seinem Leben anstanden und Entscheidungen von erheblicher Tragweite getroffen werden mussten, dachte er zunächst gern zurück, um den geistigen Fokus weiter fassen und dadurch das Problem besser überblicken zu können. Das verschaffte ihm die erforderliche Distanz zum Geschehen, denn heute hatte er von Birte am
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