Zeitlos
musste sich beeilen, denn Imke Lemming, ihre Nachbarin zur rechten Grundstücksseite hin, warf ihm bereits missbilligende Blicke über den Zaun zu.
Er kannte das schon; spätestens zur Kaffeestunde wollte sie, dass möglichst alle Nachbarn mit dem Rasenmähen aufhören, als müsse sich die Welt nur nach ihr richten. Lemminge nannte er sie abschätzig im Geheimen, denn auch ihr Mann Jens gehörte nicht gerade zur Kategorie der beliebtesten Nachbarn. Die beiden passten gut zusammen, fühlten sie sich doch allein dazu berufen, die allgemeingültigen Regeln für dieses Neubaugebiet aufzustellen - engstirnige Kleingeister, immer möglichst mit dem Kopf durch die Wand! Imke stand schon wieder am Zaum und deutete demonstrativ auf ihre Uhr.
Markus war ohnehin fertig und stellte den Motor ab. »Ist ja wohl nicht verboten, am Samstagnachmittag den Rasen zu mähen, oder ist es dir lieber, wenn ich mir Schafe zum Abweiden aufs Grundstück stelle?«
»Das muss doch wohl nicht sein, Markus! Es ist Kaffeezeit, da wollen Jens und ich in Ruhe auf unserer Terrasse sitzen.«
»Ja ja, damit ihr’s wisst, heute Abend haben wir eine Grillfeier und wir werden lange draußen sitzen. Ich sage euch das nur, damit ihr euch schon einmal darauf einstellen könnt!«
»Du weißt ja, dass ab spätestens zwanzig Uhr allgemein Ruhe zu herrschen hat, schließlich ist unsere Kia erst sechs und muss schlafen.«
»Kauft euch Oropax, dann wird es schon gehen, den Kleinen machen Umgebungsgeräusche nichts aus, oder glaubst du, wir haben uns hier ein Haus im Grünen gebaut, um wie im Wohnblock, uns von allen Leuten vorschreiben zu lassen, was wir wann, wie und wie lange tun dürfen?« Markus merkte, wie ihm der Kamm schwoll. Er konnte die Lemmings einfach nicht ausstehen.
»Ich werd euch was – Oropax! Wenn um zweiundzwanzig Uhr nicht Ruhe ist, rufen wir die Polizei. Da versucht man euch höflich um Ruhe zu bitten und dann solche unverschämten Kommentare…«, der Rest ihrer wütenden Entgegnung ging im Lärm des Rasenmähermotors unter, den Markus nun erst recht noch einmal anwarf, um dieses unerquickliche Gespräch zu beenden, außerdem hatte er nicht vor, sich von diesen Lemmingen drangsalieren und einschüchtern zu lassen.
Bevor er zum Duschen ins Haus ging, schüttete er einen Sack Holzkohle in den Grill und entzündete sie. Die Kohle würde in einer Dreiviertelstunde durchgeglüht sein, und sie konnten sich dann dem angenehmeren Teil des Tages widmen. Noch während er sich umzog, hörte er Birte mit Kerstin heimkommen und in der Küche hantieren. Ein letzter Blick in den Spiegel und ein bisschen Aftershave ins Gesicht – fertig.
Seinen Anflug von schlechter Stimmung hatte er vergessen und freute sich auf die heutige Party. Kerstin trug Schüsseln mit Salaten aus dem Auto herein. »Hallo, hab gleich die Arme frei – einen Augenblick!« Sie lächelte ihn verschmitzt an, stellte die Schüsseln auf den Küchentisch und erwartete seine Umarmung.
»Fein, dass du da bist. Hast du die Salate alle gemacht?«
»Nein, nur diese beiden, der noch lauwarme Kartoffelsalat ist von deiner Schwiegermutter.«
»Aaah, wirklich? Markus zog die Folie von der Schüssel und schnüffelte mit geschlossenen Augen daran. Wunderbar – ich muss mal probieren. Nach dem dritten Bissen nahm Birte ihm den Löffel aus der Hand. »Nichts da! Beherrsch dich!« Markus verdrehte in hilfloser Verzweiflungsgeste die Augen und sah nach dem Grill.
In der folgenden halben Stunde trafen auch Simon Büttner und Birtes langjährige Freundin Edelgard Vanheugen aus Schleswig ein. Mittlerweile brutzelte das erste Grillgut auf dem Rost. Markus verteilte die erste Lage Fleisch auf die Teller der Anwesenden, Simon schenkte Roséwein und Mineralwasser in die Gläser. Die Unterhaltung verstummte für eine kurze Weile, kam aber, nachdem der erste Hunger gestillt war, wieder in Gang. Es dauerte nicht lange und sie landeten bei ihrem Lieblingsthema: Politik und Gesellschaft. Sie kannten sich alle lange genug, um die Positionen eines jeden hier am Tisch gut zu kennen.
Edelgard vertrat als allein erziehende Mutter gern mit Nachdruck ihre kühnen Thesen zum radikalen Umbau des sozialen Systems, verwies auf Studien, die belegen würden, dass die Aufgabe aller Sozialtransfers zugunsten eines bedingungslosen Grundeinkommens, der ihrer Meinung nach einzige Erfolg versprechende Lösungsansatz sei, um die knapper werdenden Arbeitsplätze umzuverteilen und ein gerechteres System zu
Weitere Kostenlose Bücher