Zeitlos
wieder auf. Sie war jetzt aufmerksam, sah ihn jedoch nicht an, sondern sortierte aus ihrem Salat die ungeliebten Zwiebeln heraus und legte sie auf den Tellerrand.
Sie wusste, warum er hier war, und dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er seinen ersten Pfeil abschoss. Und richtig: Drei Belanglosigkeiten weiter, hörte sie ihn förmlich heranzischen – den Pfeil. »…und da habt ihr euch gedacht, ihr macht einfach dicht. Beliefert die anderen mit nichtssagenden, angeblichen Fakten, die man überall herkriegt und wartet ab, was man euch dafür liefert. Äußerst geschickt. Ist dein Chef dafür verantwortlich? Ist der so cool?«
Nele kaute in Ruhe zu Ende, dabei überdachte sie ihre Antwort. Sich mit der Serviette den Mund tupfend, äußerlich gelassen, lehnte sie sich zurück, sah ihn offen an. Seine fahlen, wässrigblauen Augen wurden von schweren Schlupfliedern halb verdeckt. »Nun, mein lieber Jens, du weißt, dass ich mich dazu nicht äußern darf. Wenn du darüber mehr wissen willst, wende dich an die Pressestelle der Uni, dort bist du richtig. Ich hülle mich in Schweigen!«
»Auch Schweigen verrät viel. Gib es zu, für eine Sekunde hast du ernsthaft darüber nachgedacht, mir Informationen zu geben, dann hast du innerlich dicht gemacht, dich entschlossen, lieber nichts zu sagen. Ich kann deine Gedanken lesen« Wiehern.
»Jens, du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich dir bedeutende Informationen zu diesem neuen Projekt gebe, oder? Noch haben wir es nicht, haben uns nur ins Gespräch gebracht, da wir die nötigen Voraussetzungen mitbringen. Schließlich haben wir an unserer Uni langjährige Erfahrungen mit Clustern und verfügen über die notwendigen Kapazitäten, um in diese Richtung weiter zu forschen. Wir wissen aber nicht, ob uns der Forschungsrat die Gelder bewilligen wird. Außerdem sind die Amis in der besseren Position. Ihr Professor Kingsford verfügt einfach über bessere Beziehungen. Wir hätten aber den Vorteil der größeren Erfahrung. Gerade für die Nanocluster der neuesten Generation ist Kiel der Favorit. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen, und lass unter allen Umständen meinen Namen aus dem Spiel, hörst du?«
»Bin ja nicht taub und Diskretion gehört zu meinem Job. Danke Schätzchen!« Er war seltsamerweise der einzige, von dem sie sich so anreden ließ. Nun ja, es wäre auch nicht wirklich vorteilhaft für sie, sich mit ihm ernsthaft anzulegen. Es war wie ein schlichtes Gentleman-Agreement zwischen ihnen, sie hatten nie wirklich darüber gesprochen, wussten aber beide Bescheid.
Das erste Mal kam die Meldung in den Radionachrichten um fünf vor drei. Dort war die Rede von dem bisher langwierigsten Suchmaschinenausfall in der Geschichte des Internets. Man arbeite fieberhaft an dem Problem und bitte die User um Geduld. Nun kam das sogar schon in den Nachrichten. Unfassbar. Im Vergleich zu den Meldungen, die seit dem Beginn des Kosmischen Rauschens vor mehr als einem Jahr, durch die Nachrichten aller Welt liefen, war das Problem des Suchmaschinenanbieters wohl wirklich als eher gering einzuschätzen, dachte Nele.
Wie sehr hatte sich der Alltag seither geändert! Der Flugverkehr wurde aus Sicherheitsgründen nach wie vor nicht während der Rauschphase abgewickelt, die Nachtflugverbote waren bis auf weiteres weltweit aufgehoben. Mittlerweile waren viele Konzerne dazu übergegangen, ihre Kassensysteme und Datenübermittlungen Kabel gebunden abzuwickeln. Der Funkverkehr war während des Rauschens ausgesetzt. Die Heftigkeit hatte sich nicht weiter gesteigert, blieb seit fast einem halben Jahr konstant. Ihr neuestes Smartphone hatte zusätzlich eingebaute Rauschfilter, was die Empfangs- und Sendelücken verringerte, aber nicht gänzlich beseitigte.
Die Menschen hatten sich recht schnell auf die Veränderungen eingestellt. Manchmal fragte Nele sich ernsthaft, ob es jemals wirklich eine Zeit ohne Rauschen gegeben hatte?
Markus betrat ihr Büro, kurz bevor er heimfahren wollte und teilte ihr mit, dass er die nächsten zwei Tage frei genommen hatte. Auf ihren fragenden Blick hin erklärte er nur kurz angebunden: »Etwas Persönliches. Halt du die Stellung hier! Ich bin in der Zwischenzeit auch nicht erreichbar. Bis Donnerstag dann!« Und schon war er wieder draußen. Sie hörte noch, wie er sein Büro verschloss und dann raschen Schrittes den Flur hinunter eilte. Er hatte nicht einmal ihre Antwort abgewartet.
Man hätte wirklich denken können, dass er im
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